Vom 13.–15. Juli 2022 wurde im Westen der Ukraine (in den Regionen Lwiw, Rivne und Zakarpattia) eine gemeinsame Mission unter Beteiligung des WHO-Länderbüros in der Ukraine, des Stellvertretenden Gesundheitsministers der Ukraine, Dr. Ihor Kuzin, Partnern der Weltweiten Initiative zur Ausrottung der Kinderlähmung (GPEI) – dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), den United States Centers for Disease Control and Prevention (US CDC), der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung sowie Rotary International – durchgeführt, um die anhaltenden Anstrengungen in Reaktion auf einen Poliomyelitis (Polio)-Ausbruch zu beurteilen, der erstmals im Oktober 2021 in der Ukraine entdeckt worden war. Im Mittelpunkt der gemeinsamen Mission standen die Beurteilung der Reaktion auf den Ausbruch und die Bereitstellung fachlicher Leitlinien zu Krankheitsüberwachung und Polio-Impfungen in den drei Regionen des Landes. Darüber hinaus bot die Mission Gelegenheit zu gewährleisten, dass die Reaktion auf den Polio-Ausbruch, einschließlich der Erreichung einer hohen Durchimpfung durch Routine- und Auffrischungsimpfungen, weiterhin eine Priorität in den regionalen ukrainischen Zentren für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten bleibt. In diesem Zusammenhang traf sich das Team mit Leitern der regionalen Gesundheitsbehörden, Vertretern der regionalen Staatsverwaltung und Gesundheitsfachkräften.
Seit der Entdeckung des zirkulierenden vakzine-abgeleiteten Poliovirus Typ 2 (cVDPV2) in der Region Rivne im letzten Jahr haben die Partner der GPEI das Gesundheitsministerium und das Zentrum für öffentliche Gesundheit der Ukraine bei der Reaktion auf den Polio-Ausbruch unterstützt. Am 1. Februar 2022 wurde eine Impfkampagne gegen Polio für Kinder im Alter zwischen 6 Monaten und 6 Jahren in die Wege geleitet, in deren Rahmen Auffrischungsimpfungen für Kinder angeboten wurden, die ihre Routine-Impfung gegen Polio in der Vergangenheit versäumt hatten. Ziel der Kampagne war es, fast 140 000 Kinder im ganzen Land zu erreichen. Trotz des anhaltenden Krieges im Land, der im gleichen Monat begann, wird die Kampagne für diese Auffrischimpfungen in Zentren für die primäre Gesundheitsversorgung nach wie vor fortgesetzt, wenn auch sehr langsam. Bislang wurden 70% der anvisierten Zahl von Kindern landesweit mit einem inaktivierten Polio-Impfstoff geimpft.
„Wir sind mit allen Kräften darum bemüht zu gewährleisten, dass alles Nötige getan wird, um die Impfungen bereitzustellen, einschließlich der Bereitstellung von geschultem Gesundheitspersonal für die Verabreichung der Impfungen in Gesundheitseinrichtungen sowie sämtlicher erforderlicher Logistik“, erklärte Roman Safonov, leitender Sanitär-Arzt in der Region Rivne.
Herausforderungen bei der Verwirklichung einer hohen Durchimpfungsrate
Die Impfraten bei routinemäßigen Polio-Impfungen in der Ukraine, die seit einem Tiefpunkt im Jahr 2017 wieder langsam angestiegen waren, wurden durch die COVID-19-Pandemie erheblich beeinträchtigt und durch den Krieg in diesem Jahr vielerorts weiter in Mitleidenschaft gezogen. Millionen von Menschen wurden innerhalb und außerhalb der Landesgrenzen vertrieben, was die Bemühungen zur Lokalisierung und Impfung von Kindern erheblich erschwert. Darüber hinaus gibt es nur ein geringes Bewusstsein für die Bedeutung von Impfungen in einigen sehr schwer zu erreichenden Gemeinschaften.
„Die Impfraten sind im ganzen Land infolge des Krieges erheblich gesunken“, erklärte Dr. Kuzin.„Unsere Aufgabe ist es, alles in unserer Macht stehende zu unternehmen, um zu gewährleisten, dass die Impfraten bei Routine-Impfungen hoch sind. Eine der diesbezüglichen Prioritäten ist dabei die Impfung gegen Poliomyelitis. Wir werden nicht ruhen, bis alle Kinder vollständig gegen Polio und andere impfpräventable Infektionen geimpft sind.“ Um die Impfraten im Westen der Ukraine zu erhöhen, haben die Gesundheitsbehörden Veranstaltungen zur Bewusstseinsbildung abgehalten und mobile Impfmaßnahmen 2‑3-mal pro Woche unterstützt. Im Anschluss an die gemeinsame Mission sind zusätzliche Organisations-, Weiterbildungs- und Informationsinitiativen geplant, um die Reaktion auf den Polio-Ausbruch zu stärken.
Poliovirus-Ausbruch in der Ukraine und Risiko einer grenzüberschreitenden Ausbreitung
Die Zirkulation des Poliovirus wurde in zwei Regionen bestätigt: Rivne und Zakarpattia. Bislang wurden zwei Kinder mit akuten schlaffen Lähmungserscheinungen (AFP) positiv auf cVDPV2 getestet (in beiden Fällen brach die Krankheit im Jahr 2021 aus), und das Virus wurde zudem bei 19 asymptomatischen Kontaktpersonen nachgewiesen. Im gesamten Land wird daher eine intensivierte AFP-Surveillance betrieben und das Virusvorkommen in der Umwelt überwacht. Seit Januar 2022 wurden 61 Fälle von AFP gemeldet, die allesamt negativ auf Polio getestet wurden.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Krise stellt dieser Ausbruch ein erhebliches Risiko für eine grenzüberschreitende Ausbreitung infolge subnationaler Lücken bei der Durchimpfung und einer suboptimalen AFP-Überwachung in den Nachbarländern der Ukraine sowie der Massenemigration aus der Ukraine infolge des Krieges dar.
„Partner der GPEI werden auch weiterhin die regionalen Gesundheitsbehörden unterstützen und sich mit ihnen abstimmen, um alle notwendigen Fähigkeiten und Fachkenntnisse bereitzustellen und so die Impf- und Surveillance-Indikatoren des Landes zu verbessern. Auch die Beschaffung von Polioimpfstoff wird fortgesetzt, um eine Impfstoffknappheit zu verhindern“, erklärte Raymond Dankoli, Koordinator der WHO für die Reaktion auf den Polio-Ausbruch in der Ukraine.