Ukraine: Unverzügliche Maßnahmen erforderlich zur Verhinderung eines Masernausbruchs aufgrund des anhaltenden Krieges und niedriger Impfraten, warnt die WHO

27 April 2022
Medienmitteilung
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Lwiw, 28. April 2022


Den aktuellsten verfügbaren Daten zufolge erhielten 85% der in Frage kommenden Kinder in der Ukraine im Jahr 2020 ihre erste Dosis des Masernimpfstoffs. Auch wenn dies im Vergleich zu der niedrigen Rate von 42% im Jahr 2016 eine erhebliche Verbesserung und einen bedeutenden Erfolg für das Land darstellte, empfiehlt die WHO eine Durchimpfungsrate von 95% oder höher pro Jahr, um Herdenimmunität zu erreichen und zu erhalten und die Bevölkerung zu schützen. Angesichts der durch den anhaltenden Krieg verursachten gravierenden Beeinträchtigungen des ukrainischen Gesundheitssystems, u. a. bei Routineimpfungen, ist die WHO ernsthaft besorgt über einen möglichen Masernausbruch, der verheerende gesundheitliche Folgen haben könnte.

In der Ukraine bestehen sowohl bei Kindern als auch bei Jugendlichen und Erwachsenen erhebliche Impflücken. Diese führten im Jahr 2012 sowie anschließend erneut von Mitte 2017 bis Ende 2019 zu Masernausbrüchen, wobei Letzterer den zweitgrößten weltweit gemeldeten Masernausbruch darstellte. Dank der Anstrengungen der Gesundheitsbehörden gelang es mithilfe einer aggressiven Impfreaktion, den Ausbruch 2019 unter Kontrolle zu bringen und die Infektionsraten zu senken. Insgesamt jedoch ist die Immunität der Bevölkerung weiterhin niedrig.

„Impfmaßnahmen unter Kindern im schulpflichtigen Alter, die mit Unterstützung der WHO für das Gesundheitsministerium im Jahr 2019 begonnen wurden, wurden durch die COVID-19-Pandemie unterbrochen“, erklärte Dr. Jarno Habicht, Repräsentant der WHO und Leiter des Länderbüros der WHO in der Ukraine. „Derzeit wird die Gefahr eines Masernausbruchs durch den anhaltenden Krieg erheblich erhöht, in dessen Folge viele Familien vertrieben wurden und in überfüllten, vorübergehenden Unterkünften untergebracht sind, während viele andere keinen Zugang mehr zur Gesundheitsversorgung haben.“

„Trotz der vielen Herausforderungen, die dieser Krieg mit sich bringt, arbeitet die WHO eng mit dem Gesundheitsministerium zusammen, um COVID-19-Impfungen sowie Routineimpfungen für Kinder gegen eine Vielzahl impfpräventabler Krankheiten (darunter Masern, Röteln, Diphtherie und Polio) bereitzustellen“, führt Dr. Habicht fort.“ „Um die Kinder zu schützen und Krankheitsausbrüche zu verhindern, ist es von entscheidender Bedeutung, dass jedes Kind, das eine laut Impfplan vorgesehene Impfdosis verpasst hat, leicht Zugang zu Nachimpfungen für die benötigten Impfdosen erhält. Es müssen alle denkbaren Anstrengungen unternommen werden, um einen Masernausbruch inmitten des anhaltenden Krieges zu verhindern. Aus diesem Grund unterstützt die WHO das Gesundheitsministerium dabei, im Rahmen der Europäischen Impfwoche in zehn Oblasten in allen Teilen der Ukraine Masernimpfungen für binnenvertriebene Kinder anzubieten.“

Darüber hinaus ist die WHO besorgt über einen Ausbruch des vakzine-abgeleiteten Poliovirus Typ 2 in der Ukraine und überwacht diesen aufmerksam. Bislang wurden zwei Kinder mit akuten schlaffen Lähmungserscheinungen (AFP) positiv auf Polio getestet, und das Virus wurde zudem bei 19 asymptomatischen Kontaktpersonen nachgewiesen. Eine landesweite Polio-Impfkampagne mit inaktiviertem Polioimpfstoff (IPV) für etwa 140 000 Kinder im Alter zwischen 6 Monaten und 6 Jahren, die zuvor noch nicht geimpft worden waren, musste nur Wochen nach ihrem Start (am 1. Februar dieses Jahres) unterbrochen werden. Seitdem wurde die Kampagne, wo es irgend geht, wieder aufgenommen, doch waren bis zum 24. April nur rund 48% (etwa 69 000) der anvisierten Kinder geimpft worden.

„Selbst ein Kind mit Polio stellt eine Gefahr für jedes nicht oder nicht ausreichend geimpfte Kind in der Ukraine dar. Polio ist eine hochansteckende Krankheit, die dauerhafte Folgen für das Leben eines Kindes haben und sogar tödlich verlaufen kann“, erläutert Dr. Habicht. „Polio ist unheilbar; die Krankheit lässt sich lediglich verhindern. Impfungen sind der einzige Weg, um sein Kind vor dieser schweren Krankheit zu schützen. Gegenwärtig verfügt die Ukraine über genügend Vorräte an Polioimpfstoff, um den Bedarf an Routineimpfungen zu erfüllen. Nicht das Angebot ist das Problem, sondern der Zugang. Viele Kinder wurden vertrieben oder sind auf der Flucht, das Gesundheitssystem ist massiv beeinträchtigt, Gesundheitseinrichtungen und Krankenhäuser sind Angriffen ausgesetzt, und es ist völlig unklar, ob Polio sich in mehreren der vom Konflikt betroffenen Gebiete in der Bevölkerung ausbreitet.“

Die WHO tut alles, um die ukrainischen Gesundheitsbehörden dabei zu unterstützen, Hochrisikogruppen zu erreichen, und ist gleichzeitig darum bemüht, die Impfstoffvorräte aufzustocken.

„Die anhaltende humanitäre Krise in der Ukraine hat in tragischer Weise Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden. Das schon zuvor durch COVID-19 angeschlagene Gesundheitswesen ist nun vollständig überlastet. Zu den zahlreichen ernsten und langfristigen Folgen zählt auch die Störung des Impfbetriebs in dem Land“, erklärte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa.

„Jeder Tag, an dem der unterbrochene Impfbetrieb nicht wieder aufgenommen wird bzw. keine Nachholtermine für vertriebene Kinder angeboten werden, erhöht das Risiko eines Zirkulierens von Polio, aber auch die Gefahr von Ausbrüchen anderer Kinderkrankheiten und einer weiteren Ausbreitung von COVID-19. Das Risiko solcher Ausbrüche erinnert uns drastisch an die Anfälligkeit unserer Gesellschaft, sobald es ungeimpfte oder unzureichend durchimpfte Bevölkerungsgruppen gibt“, schloss Dr. Kluge.

Die Fortschritte, die die Ukraine im Laufe der Jahre beim Schutz von Kindern und Erwachsenen vor lebensbedrohlichen Krankheiten erzielt hat, verdienen Anerkennung und sollten nicht als selbstverständlich angesehen werden. Diese Fortschritte aufrechtzuerhalten erfordert gemeinsame Anstrengungen, insbesondere jetzt, wo der anhaltende Krieg dies umso schwieriger macht.

Kontakt:


Bhanu Bhatnagar, Sprecher der WHO in der Ukraine, bbhatnagar@who.int 

Pressebüro des WHO-Regionalbüros für Europa, eupress@who.int