Schon kurz nach der Erklärung des COVID-19-Ausbruchs zu einer gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite warnte der Generaldirektor der WHO, Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, vor der Gefahr einer „Infodemie“ – eines Überangebots an Informationen, von denen manche irreführend oder sogar schädlich sein können.
Diese unüberschaubare Menge an Informationen kann sich auf unterschiedliche Weise negativ auf die menschliche Gesundheit auswirken. Sie kann:
- es erschweren, präzise, evidenzbasierte Informationen und Empfehlungen in Bezug auf die öffentliche Gesundheit zu erstellen;
- aufgrund ihres Umfangs und ihrer Zugänglichkeit und Allgegenwärtigkeit zu Angstzuständen, Sorgen und anderen psychischen Gesundheitsproblemen führen;
- die Menschen dazu veranlassen, irreführenden oder sogar gefährlichen Ratschlägen zu folgen;
- Ermüdungserscheinungen sowie Desinteresse und Ablehnung gegenüber gesundheitlichen Botschaften hervorrufen; und
- Xenophobie, Hass und Ausgrenzung Vorschub leisten.
Eine Bekämpfung dieser Bedrohung für gegenwärtige und künftige Generationen ist Bestandteil der breiter angelegten langfristigen Investitionen der WHO in Risikokommunikation und Bürgerbeteiligung an Vorsorge- und Gegenmaßnahmen. Die WHO richtet ihre erste Globale Konferenz zum Thema Infodemiologie aus, die am 29. Juni 2020 eröffnet wird und sich mit Beispielen und Instrumenten für die Bewältigung von Infodemien befassen und zur Schaffung einer Praktiker- und Forschergemeinschaft beitragen wird.
Kommunikation als eine gesundheitspolitische Intervention
Es war noch nie deutlicher als heute, dass Kommunikation eine wesentliche gesundheitspolitische Intervention ist, die ebenso wie Epidemiologie, Virologie und klinisches Management zur Bekämpfung von Pandemien beiträgt. Je mehr die Menschen den Gesundheitsbehörden vertrauen, desto mehr werden sie sich an deren Empfehlungen zum Schutz der Gesundheit und an schützende Verhaltensweisen halten, die auf der nationalen wie globalen Ebene zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beitragen.
Manche Einflussfaktoren können das Vertrauen untergraben, etwa verzögerte und unklare Informationen, Widersprüche und eine Infodemie.
Die Kommunikation verändern
Der schädlichste Aspekt der Infodemie waren falsche und irreführende Informationen von Akteuren außerhalb der Gesundheitspolitik. So wurden gefährliche und nicht bewiesene Behauptungen verbreitet.
Da das Virus, das COVID-19 verursacht, erst vor wenigen Monaten identifiziert wurde, kommen noch täglich neue wissenschaftliche Erkenntnisse hinzu. Dies bedeutet, dass Empfehlungen sich im Lichte neuer Erkenntnisse ändern können. Wenn das nicht klar kommuniziert wird, können sich Ungewissheit und Zweifel hinsichtlich der abgegebenen Empfehlungen und der für diese Informationen verantwortlichen Institutionen ausbreiten.
Veränderungssteuerung und Kommunikation müssen klar die Botschaft vermitteln, dass im Zuge neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse mehr Klarheit entsteht und sich vorbildliche Praktiken herausbilden. Ein solcher Ansatz erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Veränderungen sich reibungslos in die Empfehlungen auf nationaler Ebene einfügen lassen.
Vertrauen aufbauen
Die Gefahren von Infodemien sind vielfältig. Neben den Folgen für die Gesundheit des Einzelnen können sie auch Xenophobie, Hass und Ausgrenzung hervorrufen – mit potenziell langfristigen Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit und die Menschenrechte.
Darüber hinaus kam eine vor kurzem durchgeführte Studie des Reuters Institute über englischsprachige Fehlinformationen über COVID-19 zu dem Ergebnis, dass zwischen Januar und März 2020 39% der ermittelten Fehlinformationen falsche Behauptungen über Maßnahmen oder Konzepte von staatlichen Behörden oder internationalen Organisationen wie der WHO beinhalteten. Dies deutet darauf hin, dass die Autorität und Vertrauenswürdigkeit offizieller Institutionen durch die Infodemie untergraben wird.
Um diesem Trend entgegenzuwirken, müssen Regierungen, Organisationen und Behörden transparent und einvernehmlich handeln, um bei der Öffentlichkeit Vertrauen aufzubauen. Dies lässt sich durch eine regelmäßige, offene Kommunikation sowie dynamische Partnerschaften lösen.
Das WHO-Regionalbüro für Europa bemüht sich in enger Abstimmung mit anderen Organisationen um eine offenere Kommunikation, etwa durch Partnerschaften mit digitalen Plattformen wie der Global Shapers Community, die Einführung des Chatbots HealthBuddy und die Abhaltung regelmäßiger virtueller Presse-Briefings.
Eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung
Die Verbreitung zuverlässiger, evidenzbasierter Informationen ist eine Aufgabe für alle. Anfang des Monats präsentierte der Generalsekretär der Vereinten Nationen eine Reihe von Handlungsempfehlungen mit der Zielsetzung, dass „im digitalen Zeitalter alle Menschen angeschlossen sind, geachtet werden und Schutz erhalten“. Inzwischen wurden Instrumente entwickelt, die den Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung der Infodemie behilflich sein können. Um Infodemien wirksam bekämpfen zu können, kommt es entscheidend darauf an, dass die Länder ihr Wissen und ihre Fähigkeiten zur Nutzung dieser Instrumente verbessern.
Die WHO hat dieser Erkenntnis auf der diesjährigen Weltgesundheitsversammlung mit ihrer Resolution zu COVID-19 Rechnung getragen, in der Länder, internationale Organisationen und andere Akteure aufgefordert werden, ein unkontrolliertes Wuchern von Desinformation und Fehlinformation zu verhindern.