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In den Ländern der Europäischen Region trinken Erwachsene im Durchschnitt 9,2 Liter reinen Alkohol pro Jahr – mehr als in allen anderen Regionen

29 July 2024
Pressemitteilung
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Nach Angaben der WHO hat es in der Europäischen Region kaum Fortschritte bei der Reduzierung des Alkoholkonsums und der dadurch bedingten Schäden gegeben. Nach den neuesten verfügbaren Daten aus dem Globalen Sachstandsbericht „Alkohol und Gesundheit und Behandlung von durch Substanzgebrauch bedingten Gesundheitsstörungen“ aus dem Jahr 2019 hat sich die Europäische Region, die 53 Mitgliedstaaten in Europa und Zentralasien umfasst, den zweifelhaften Ruf erworben, von allen Regionen der WHO den höchsten Alkoholkonsum pro Kopf zu haben.

„Wenn wir uns die neuesten Daten über Alkoholkonsum und alkoholbedingte Schäden ansehen, sticht eine der Regionen der WHO hervor“, sagt Dr. Gauden Galea, Strategischer Berater des WHO-Regionaldirektors für Europa für nichtübertragbare Krankheiten und Innovation. „Die Europäische Region der WHO hält nach wie vor den wenig beneidenswerten Rekord, weltweit den höchsten Alkoholkonsum mit den damit verbundenen Schäden sowie die geringste Zahl von Abstinenten zu haben. Alkohol kann verheerende Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden haben, die weit über die Konsumenten selbst hinausgehen und zu denen häusliche Gewalt, Verletzungen, Unfälle, Familientrennungen und psychische Probleme gehören. Die Länder müssen sich mit Nachdruck für die Umsetzung der Maßnahmen einsetzen, von denen wir wissen, dass sie den Alkoholkonsum wirksam reduzieren.“  

Wie viel Alkohol konsumieren die Menschen in der Europäischen Region der WHO?

Nach den neuesten weltweit vergleichbaren Daten konsumieren Männer in der Europäischen Region pro Jahr fast viermal so viel Alkohol (14,9 Liter) wie Frauen (4,0 Liter). 2019 gab es in der Europäischen Region mehr als 470 Mio. Alkoholkonsumenten (Menschen, die in den vorangegangenen 12 Monaten Alkohol konsumiert haben); somit konsumieren im Durchschnitt zwei Drittel aller Erwachsenen Alkohol. Nach Schätzungen leidet etwa ein Zehntel aller Erwachsenen (11 %) in der Europäischen Region an einer alkoholbezogenen Störung, und fast jeder Zwanzigste ist alkoholabhängig (5,9 %).  

Trotz dieser alarmierenden Statistiken haben seit 2010 nur 12 der 53 Länder in der Europäischen Region wesentliche Fortschritte in Richtung einer Reduzierung des Alkoholkonsums um 10 % erzielt, wie im Globalen Kontrollrahmen für nichtübertragbare Krankheiten und im Handlungsrahmen für die Alkoholpolitik in der Europäischen Region (2022–2025) vereinbart.  

Zwar ist die Europäische Region als Ganzes offenbar auf dem Weg zur Erfüllung dieser Zielvorgabe, doch ist dies in erster Linie auf eine erhebliche Verringerung des Alkoholkonsums in einigen besonders bevölkerungsreichen Ländern wie der Russischen Föderation, der Türkei und der Ukraine zurückzuführen, wo einschneidende Maßnahmen zur Erhöhung der Verbrauchsteuern auf alkoholische Getränke und zur Begrenzung der Verfügbarkeit von Alkohol ergriffen wurden. Dagegen wurden in den EU-Staaten seit über einem Jahrzehnt keine wesentlichen Veränderungen im Alkoholkonsum mehr registriert. Dieser Mangel an Fortschritten deutet darauf hin, dass die Länder der Europäischen Region im Vorfeld der Vierten Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen auf hoher Ebene im Jahr 2025, auf der die Länder eine Bestandsaufnahme der erzielten Fortschritte durchführen und eine Zukunftsvision für die Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten entwerfen wollen, ihre Anstrengungen verstärken müssen. 

Dr. Carina Ferreira-Borges, Leiterin des Programms für Alkohol, illegale Drogen und Gesundheit im Strafvollzug bei WHO/Europa, betont: „Der hohe Alkoholkonsum und die damit verbundenen Schäden in der Europäischen Region sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass wir nicht genug tun. Wir zahlen einen hohen Preis für unsere Untätigkeit, denn Alkohol verursacht in unserer Region Hunderttausende von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, ebenso Verletzungen, Krebserkrankungen und Leberzirrhosen“. 

Wie schwerwiegend sind die durch Alkoholkonsum hervorgerufenen Schäden in der Europäischen Region?

Alkoholkonsum schadet Einzelpersonen, Familien und ganzen Gemeinschaften, und betroffen sind nicht nur die Konsumenten selbst, sondern auch ihr gesamtes Umfeld. In der Europäischen Region ist Alkoholkonsum mit jährlich knapp 800 000 Todesfällen eine der häufigsten Todesursachen. Jeden Tag sterben in der Europäischen Region etwa 2200 Menschen an alkoholbezogenen Ursachen. Alkoholbedingte Todesfälle machen etwa 9 % aller Todesfälle in der Europäischen Region aus; in keiner anderen Region ist der Beitrag zur Mortalität aufgrund aller Ursachen höher.  

Nichtübertragbare Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes und chronisch obstruktive Lungenerkrankungen sind für ca. 90 % aller Todesfälle und für 85 % der mit Behinderungen verbrachten Lebensjahre in der Europäischen Region verantwortlich. Die Mehrzahl der alkoholbedingten Todesfälle in der Europäischen Region entfielen auf nichtübertragbare Krankheiten (über 600 000 Fälle pro Jah

r), und etwa die Hälfte davon auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen (d. h. Herzkrankheit), die führende alkoholbedingte Todesursache. In dem Bericht wird auch eine besonders hohe Inzidenz alkoholbedingter Krebserkrankungen erwähnt. Aufgrund des hohen Alkoholkonsums und der Alterung der Bevölkerung weisen die Länder der Europäischen Region besonders hohe Inzidenzen alkoholbedingter Krebserkrankungen auf.  

Verschärft wird dies noch durch das mangelnde Bewusstsein für die Tatsache, dass Alkoholkonsum zu den wichtigsten Risikofaktoren für Krebs zählt. Obwohl Alkohol vom Internationalen Krebsforschungszentrum (IARC) als Karzinogen der Gruppe 1 eingestuft wurde, was bedeutet, dass es eindeutige Belege dafür gibt, dass Alkohol beim Menschen Krebs verursachen kann, ist diese Tatsache nicht allgemein bekannt. 

Tun die Länder genug zur Reduzierung des Alkoholkonsums und der dadurch bedingten Schäden?

Trotz der deutlichen Belege für die von Alkohol verursachten Schäden lassen in vielen Ländern der Europäischen Region wesentliche Fortschritte bei der Umsetzung der von der WHO empfohlenen Konzepte, und namentlich der kostenwirksamsten und vielversprechendsten Maßnahmen (sog. „best buys“), weiter auf sich warten. Diese lauten: 1) Erhöhung der Verbrauchssteuern auf alkoholische Getränke; 2) Einführung umfassender Beschränkungen für die Alkoholwerbung; und 3) Verringerung der Verfügbarkeit von Alkohol.   

Während die Sensibilisierung für die Gefahren des Alkoholkonsums und die Bereitstellung von Unterstützungsangeboten und anderen Interventionen auf der individuellen Ebene durchaus etwas bewirken können, sind für eine wesentliche Reduzierung von Alkoholkonsum und alkoholbedingten Schäden auf der Bevölkerungsebene nachweislich diese „best buys“ am vielversprechendsten. So ergab ein noch laufendes Projekt in Estland, Lettland und Litauen, dass bei Durchführung von Maßnahmen zur Bekämpfung des Alkoholkonsums auf der Bevölkerungsebene weniger Alkohol konsumiert wird, weniger alkoholbedingte Schäden auftreten und sich die Lebenserwartung insgesamt erhöht, sodass auch die anfälligsten Gruppen länger leben. 

Dr. Gauden Galea hebt die Notwendigkeit unverzüglichen Handelns hervor: „Wir haben die Mittel und das Wissen, um den Alkoholkonsum und die damit verbundenen Schäden zu verringern. Was wir jetzt brauchen, ist der politische Wille, diese evidenzbasierten Maßnahmen umzusetzen. Nun, da die Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen auf hoher Ebene im Jahr 2025 näher rückt, müssen wir unsere Anstrengungen forcieren und uns zu den notwendigen Veränderungen zum Schutz von Gesundheit und Wohlbefinden unserer Bevölkerung verpflichten.“ 

Die WHO appelliert dringend an alle Länder, ihre Anstrengungen zur Erfüllung der Zielvorgaben aus den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDG) zu intensivieren. Durch Umsetzung der „best buys“ und anderer wirksamer Strategien auf der Bevölkerungsebene können die Länder die Belastung durch alkoholbedingte Erkrankungen, Todesfälle, Behinderungen und Verletzungen signifikant senken.