„Was ich nicht verstehe, ist, warum es kein stärkeres Gefühl der Dringlichkeit gibt, die Erforschung von Long COVID zu finanzieren, angesichts der hohen Kosten, die diese Erkrankung für die Gesellschaft verursacht“, erklärt Ellen Bark, Gründungsmitglied von Stichting Long COVID, der niederländischen Long COVID-Stiftung.
„Bisher lag der Schwerpunkt in erster Linie auf der Epidemiologie, der Erfassung von Symptomen, der Versendung von Fragebögen und der Organisation der Gesundheitsversorgung“, sagt ihre Mitgründerin Annelies Bos, die selbst seit drei Jahren an Long COVID leidet. „Es gibt nur sehr wenige Studien, die sich mit der biomedizinischen Seite dieser Erkrankung befassen.“
Die Long COVID-Stiftung versucht, diese Lücke zu schließen, indem sie sich ausschließlich der Mittelbeschaffung für die biomedizinische Forschung widmet, d. h. der Forschung, die die biologischen und physikalischen Gründe für die Erkrankung untersucht, wie etwa die Gründe für die Autoimmunität (bei der das körpereigene Immunsystem sein eigenes Gewebe angreift). Annelies beschreibt, inwiefern dies die Arbeit anderer Long COVID-Organisationen in den Niederlanden ergänzt, die sich z. B. eher auf die Unterstützung von Patienten mit Informationen, Versorgungs- und Rehabilitationsangebote, die Organisation von Kontakten zwischen Betroffenen oder politische Lobbyarbeit konzentrieren.
„Es funktioniert, weil wir alle die gleichen Ziele verfolgen und die gleiche Botschaft aussenden, nämlich dass wir die Ursachen von Long COVID verstehen müssen, um Behandlungen entwickeln zu können. Und dafür brauchen wir Geld.“
Ein klarer Schwerpunkt
Sowohl Ellen als auch Annelies verfügen über Erfahrungen, die für die Gründung und den Betrieb der Stiftung äußerst relevant sind: Ellen hat Erfahrung in der Mittelbeschaffung für Start-up-Unternehmen und ist es gewohnt, komplexe Innovationsprojekte mit mehreren Beteiligten zu leiten, während Annelies eine Ärztin mit einem großen Netzwerk an Kontakten in der medizinischen und wissenschaftlichen Welt und ein aktives Mitglied der niederländischen Gemeinschaft von Long COVID-Patienten ist. Gemeinsam beschaffen sie Geld aus privaten Quellen, sowohl durch Crowdfunding als auch durch gezieltes Fundraising von vermögenden Privatpersonen, Familienunternehmen und gemeinnützigen Organisationen.
Angesichts von Studien, die zeigen, dass 10–20 % der Menschen, die an COVID-19 erkranken, nach der Genesung von ihrer ursprünglichen Erkrankung mit einer Reihe von mittel- und langfristigen Folgen zu kämpfen haben, wird die Stiftung angetrieben durch das dringende Bedürfnis der Patienten nach Antworten. Daher hat die Long COVID-Stiftung vier klare Werte, die ihre Mission bestimmen: Schnelligkeit, Lösungsorientierung, Zusammenarbeit und Fokus.
Schnelligkeit und Lösungsorientierung
Die Long COVID-Stiftung hat ein Team von acht engagierten Forschern zusammengestellt, die die neuesten Forschungsergebnisse zu dieser Erkrankung auswerten und zusammenstellen, so dass die beschafften Mittel in die Forschung fließen können, der sie das größte Potenzial bescheinigen.
„Wissenschaftler können sich mit Vorschlägen für Forschungsprojekte an uns wenden, die eine Finanzierung zwischen 15 000 und 100 000 US-$ erfordern, und wir können ihnen innerhalb von zwei Wochen mitteilen, ob das betreffende Projekt in unseren Zuständigkeitsbereich fällt oder ob wir mehr wissen müssen, bevor wir es finanzieren können.“
Derzeit gibt es einen Patientenbeirat, der sich aus Ärzten zusammensetzt, die selbst an Long COVID erkrankt sind. Das bedeutet, dass alle Finanzierungsentscheidungen von Personen, die sowohl die Krankheit als auch die Wissenschaft dahinter kennen, fair beurteilt werden können. Aktuell sind sie dabei, den Beirat auch auf nicht-medizinische Mitglieder auszuweiten.
Zusammenarbeit
Ein weiterer Teil ihrer Arbeit bestehe darin, neue Forschung anzuregen, erläutert Ellen. „Wir beschaffen nicht nur Geld. Wir wenden uns auch direkt an Wissenschaftler, um herauszufinden, wie wir konkrete Forschungspläne oder Pilotprojekte entwickeln können, die wir dann finanzieren. Da es so wenig Wissen zu dieser Erkrankung gibt, müssen wir viele gute Ideen anregen, die zu Pilotprojekten führen können, welche wiederum die Richtung für größere Forschungsprogramme vorgeben könnten. Dann fassen wir Top-down-Verfahren für globale Forschungsarbeiten ins Auge, die verschiedene Fachrichtungen aus unterschiedlichen medizinischen Bereichen zusammenbringen.“
Zu diesem Zweck ist die Stiftung um die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern bemüht, die Vorzeigeprojekte leiten, sowie um die Förderung einer Art von Kooperation, die zu Ergebnissen führt und weitere Forschung anregt.
„Unser Ziel ist es, ein landesweites Long COVID-Forschungskonsortium mit den kooperierenden Universitätskliniken in den Niederlanden einzurichten, damit wir gemeinsam eine nationale Patientenkohorte und Biobank aufbauen können.“
Ende letzten Jahres finanzierte die Long COVID-Stiftung ihre erste gezielte Long COVID-Forschung zur Autoimmunität. Der Vorschlag für diese Forschungsarbeit wurde von einer Denkfabrik erarbeitet, die sich aus 400 Studenten der biomedizinischen Wissenschaften und der Medizin von der Universität Utrecht zusammensetzt und von Forschern der Abteilungen für Immunologie der medizinischen Zentren der Universitäten Utrecht und Amsterdam geleitet wird. Im Rahmen der Forschungsarbeit hatten die Studenten zunächst die Gelegenheit, mit Menschen zu sprechen, die unter Long COVID-Symptomen leiden, um die Auswirkungen der Erkrankung zu verstehen. Anschließend untersuchten sie vorhandene Forschungsarbeiten zur Autoimmunität und stellten Recherchen an, wie Autoantikörper zur Entwicklung von Long COVID-Symptomen beitragen und welche von ihnen daran beteiligt sind. Als Nächstes sollten sie herausfinden, ob vorhandene Arzneimittel für die Behandlung von Long COVID eingesetzt werden können, und unkonventionelle Vorschläge unterbreiten, die das Verständnis der Autoimmunität weiter verbessern könnten. Innerhalb von 3 Wochen legte das studentische Forschungsteam zwölf hochwertige Forschungsvorschläge zur Prüfung vor.
Niels Eijkelkamp, Forschungsleiter in der Abteilung für Laboratorien, Pharmazie und biomedizinische Genetik am Medizinischen Zentrum der Universität Utrecht, kommentiert: „Ein professioneller Forscher, der sich eine Zeit lang mit einem Thema befasst hat, kann irgendwann Scheuklappen entwickeln. Diese begabten Studenten aus unterschiedlichen Fachrichtungen sind davon noch nicht betroffen und können unvoreingenommen an das Thema herangehen.“
Auch wenn Ellen und Annelies davon träumen, eine Lösung für Long COVID zu finden, sind sie der Ansicht, dass selbst kleine Entdeckungen, die die physischen Ursachen der Erkrankung aufzeigen, Patienten helfen würden, indem sie zu mehr Anerkennung beitragen und die Hoffnung wecken, dass es eines Tages erfolgreiche Behandlungen geben könnte.
„Für die meisten Patienten ist das Schwierigste im Moment die Frage, wie lange die Erkrankung andauern wird“, sagt Ellen. „Sie wissen es einfach nicht. Wenn wir an diesem Aspekt ansetzen können, wäre das sehr hilfreich. Wenn wir Lösungen finden können, dann können wir ihnen im Grunde ihr Leben zurückgeben.“
In der gesamten Europäischen Region der WHO waren allein in den ersten zwei Jahren der Pandemie Schätzungen zufolge mindestens 17 Mio. Menschen vom Post-COVID-Syndrom (Long COVID) betroffen. WHO/Europa ist gemeinsam mit Long COVID Europe – einem Netzwerk für Long COVID-Patientenverbände, das von gegenwärtigen und ehemaligen Long COVID-Patienten betrieben wird – darum bemüht sicherzustellen, dass die Erkrankung von Regierungen und Gesundheitsbehörden ernst genommen wird, und dadurch Folgendes bewirkt wird: mehr Anerkennung und ein besserer Wissensaustausch, mehr Forschung und bessere Berichterstattung sowie bessere Rehabilitation.