Kiew, 30. Mai 2023
Seit der Invasion durch die Russische Föderation im Februar letzten Jahres hat die WHO über 1000 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen in der Ukraine verifiziert – die höchste von der WHO jemals im Rahmen einer humanitären Notlage erfasste Zahl. Dieser düstere Meilenstein hebt erneut die schwierigen und gefährlichen Bedingungen hervor, unter denen das ukrainische Gesundheitssystem operiert, sowie die Herausforderungen, die mit der Bereitstellung von Leistungen der Routine- und Notfallversorgung einhergehen. Die Angriffe behindern für Zehntausende Menschen den Zugang zur Gesundheitsversorgung und erhöhen so die Gefahr von Krankheit und Tod.
Bei den in den letzten 15 Monaten des verheerenden Kriegs von der WHO verifizierten 1004 Angriffen kamen mindestens 101 Menschen ums Leben, darunter auch Gesundheitspersonal und Patienten, und viele weitere Menschen wurden verletzt. Die Angriffe hatten Auswirkungen auf Gesundheitsanbieter, Versorgungsgüter, Einrichtungen und den Transport, u. a. Krankenwagen.
Die WHO definiert einen Angriff auf das Gesundheitswesen als „einen Akt der verbalen oder physischen Gewalt, der Behinderung oder der Androhung von Gewalt, der die Verfügbarkeit und die Bereitstellung von sowie den Zugang zu kurativen bzw. präventiven Gesundheitsleistungen während Notlagen beeinträchtigt“. Dies reicht von Gewalt unter Nutzung schwerer Waffen bis hin zu psychosozialer Bedrohung und Einschüchterung, die sich auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung für Bedürftige auswirken.
„Diese Angriffe bedrohen die Sicherheit und das Wohlbefinden des Gesundheitspersonals und gefährden die Versorgung der Menschen, die in der Nähe der Konfliktgebiete leben“, erklärt Dr. Jarno Habicht, Repräsentant der WHO in der Ukraine. „Angriffe auf das Gesundheitswesen stellen eine Verletzung des humanitären Völkerrechts dar. Sie entziehen den Menschen den Zugang zur Versorgung, die sie brauchen, und haben weitreichende langfristige Folgen.“
Derartige Angriffe berauben ganze Gemeinschaften der grundlegenden Gesundheitsangebote, die benötigt werden, um Menschenleben zu retten, und führen so zu vermehrter Krankheit und Tod sowie auf lange Sicht zu einer Verschlechterung der Gesundheitssysteme. Auch die psychologischen Auswirkungen auf Patienten, die Angst haben, Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen, sowie auf Gesundheitsfachkräfte, die nicht in der Lage sind, eine Versorgung in sicheren und geschützten Umfeldern bereitzustellen, sind erheblich und werden sich über lange Zeit auf die Gesundheit der Bevölkerung auswirken.
Die WHO setzt sich nach wie vor für einen sicheren Zugang zur Gesundheitsversorgung ein, frei von Gewalt, Bedrohung oder Angst. Dies ist entscheidend, um hilfsbedürftige Menschen ins Zentrum der kollektiven humanitären Hilfe zu rücken.
„Die Tatsache, dass das Gesundheitssystem in der Ukraine nach wie vor in der Lage ist, unter diesen Bedingungen zu operieren, ist Zeugnis der heroischen Hingabe der Gesundheitsfachkräfte“, fährt Dr. Habicht fort. „Trotz der Herausforderungen, die erst mit der COVID-19-Pandemie verbunden waren und nun mit über einem Jahr des Krieges einhergehen, zeigt das ukrainische Gesundheitspersonal nach wie vor erstaunliche Stärke, Mut und Geduld – und zwar jeden Tag aufs Neue –, und rettet Menschenleben und versorgt jene, die auf Hilfe angewiesen sind. Wir stehen solidarisch an ihrer Seite und an der Seite all jener, die darum bemüht sind zu gewährleisten, dass jeder in der Ukraine Zugang zu der benötigten Gesundheitsversorgung hat.“
Die WHO überwacht die gesundheitlichen Bedürfnisse in den Regionen des Landes, die am stärksten durch die Kämpfe im Osten und Süden betroffen sind, und geht entsprechend auf diese Bedürfnisse ein. Dem Kontrollsystem der WHO für die Verfügbarkeit von Gesundheitseinrichtungen und -angeboten (HeRAMS) zufolge haben Gesundheitseinrichtungen in den am stärksten betroffenen Gebieten, darunter Cherson, Charkiw, Saporischschja und Donezk, Schwierigkeiten aufgrund mangelnder Sicherheit und strukturellen Schäden gemeldet. Ein hoher Prozentsatz der Gesundheitseinrichtungen in diesen Regionen ist jedoch funktionsfähig und zugänglich, auch wenn sie weiterhin aufgrund von Schäden nur teilweise in Betrieb sind.
„Während wir nach wie vor Angriffe auf das Gesundheitswesen verifizieren und dieser unerbittliche Krieg sich weiter hinzieht, stellen wir auch fest, dass Angriffe auf andere zivile Infrastrukturen, insbesondere in den vergangenen sechs Monaten, indirekte Auswirkungen auf die Kapazitäten des Gesundheitssystems insgesamt haben“, erläutert Dr. Habicht. „Die WHO hat bislang seit dem 24. Februar im letzten Jahr fast 9 Mio. Menschen im ganzen Land mit ihrer Unterstützung erreicht. Wir weiten unsere Anstrengungen gemeinsam mit den Vereinten Nationen und anderen Partnerorganisationen weiter aus, um mehr Gebiete zu erreichen, darunter auch die zurückeroberten Teile der Ukraine, in denen die gesundheitlichen Bedürfnisse mit am akutesten sind.“
Daten der WHO zufolge wurden erhebliche Herausforderungen bei der Bereitstellung von fachärztlichen Leistungen gemeldet, wie etwa Chemotherapie und Mammographie. Grund hierfür ist ein Mangel an Personal wie auch medizinischer Ausrüstung. Einige Regionen haben wiederum mit Schwierigkeiten bei der Bereitstellung hochqualifizierter Entbindungsleistungen zu kämpfen.
Obwohl die primäre Gesundheitsversorgung in den vom Krieg betroffenen Regionen des Landes nach wie vor weithin zugänglich ist, sind die Gesundheitskosten im letzten halben Jahr gestiegen. Umfragen der WHO deuten darauf hin, dass sich fast ein Drittel der Bevölkerung bestimmte Gesundheitsleistungen schlicht nicht mehr leisten kann.