Halynas Tochter Sofiia wurde mit einem Kurzdarmsyndrom und einer Ösophagusatresie geboren, einem seltenen Geburtsfehler, bei dem ein Baby wegen einer Fehlbildung der Speiseröhre keine Nahrung verdauen kann. Im Alter von nur vier Monaten hatte sie bereits mehrere Operationen im Okhmatdyt-Kinderkrankenhaus in Kiew hinter sich, dem einzigen Fachzentrum in der Ukraine, das ihre komplexe Erkrankung behandeln kann.
Am 8. Juli 2024 wurde das Krankenhaus während eines Luftangriffs schwer beschädigt.
„In einem solchem Moment spürt man Angst, Entsetzen, all die schrecklichen Gefühle, die man empfinden kann“, sagt Halyna. „Vor allem, wenn man ein kleines krankes Kind auf dem Arm hat, ist es wirklich schlimm und beängstigend. Du stehst da und weinst und weißt nicht, was du tun sollst, wohin du mit diesem Kind gehen kannst. Außerdem war Sofiia zu diesem Zeitpunkt auf Sauerstoffunterstützung angewiesen. Es war wahnsinnig schwer.“
Alle Operationssäle waren zerstört, es gab kein Licht, kein Wasser und keine Möglichkeit, Sofiia und andere kranke Kinder so zu versorgen, wie sie es so dringend benötigten.
In einer schnellen Intervention des medizinischen Evakuierungsprogramms wurde der Transport von zwölf der kränksten Kinder in Krankenhäuser in anderen europäischen Ländern veranlasst, um ihre Behandlung fortzusetzen. Seit 2022 hat das vom ukrainischen Gesundheitsministerium mit fachlicher Unterstützung der WHO durchgeführte und von der Europäischen Union mitfinanzierte Programm mehr als 5000 Patienten zur fachärztlichen Versorgung ins Ausland transportiert und so dazu beigetragen, die kriegsbedingte Belastung des ukrainischen Gesundheitssystems zu verringern. Das Programm soll ukrainischen Patienten eine spezialisierte Trauma- und Krebsbehandlung, Rehabilitation sowie prothetische Versorgung in Krankenhäusern und Rehabilitationszentren in der gesamten Europäischen Region der WHO und darüber hinaus ermöglichen.
Ein Leben in der Schwebe
Sofiia und ihre Mutter mussten nach dem Angriff in unterirdischen Schutzräumen bleiben, und leider bekam das kleine Mädchen eine Lungenentzündung, bevor es medizinisch evakuiert werden konnte. Für die aufreibende, mehr als 24-stündige Reise, die am 17. Juli begann, musste sie intubiert und sediert werden. Zunächst brachte ein Konvoi von Ambulanzbussen die Kinder und ihre Betreuer von Kiew nach Lwiw in der Westukraine, dann über die Grenze nach Rzeszów in Polen, von wo aus ein norwegisches Flugzeug die Kinder zur Behandlung an verschiedene Orte in Deutschland brachte. Die speziell für medizinische Evakuierungen ausgestattete Maschine wurde von der norwegischen Regierung zur Verfügung gestellt und von der Europäischen Union mitfinanziert. Um Sofiias schwache Lungen nicht zu belasten, flog der Pilot in geringer Höhe. Ihr Leben stand auf Messers Schneide.
„Ihr Zustand war wirklich ernst“, erinnert sich Halyna an den Tag. „Einerseits war ich sehr besorgt, weil man mir sagte, dass sie die Reise vielleicht nicht überstehen würde, andererseits war ich froh, dass es eine Chance gab, sie zu retten.“
Glücklicherweise konnte Sofiia erfolgreich in die Obhut des Stuttgarter Olgahospitals verlegt werden, wo sie mehrere Operationen über sich ergehen lassen musste.
Die Aussichten für die inzwischen zehn Monate alte Sofiia sind gut. Sie kann mit Spielzeug spielen, sich drehen, und in ihrem Lächeln zeigen sich zwei neue Zähne. In einigen Wochen soll sie aus dem Krankenhaus entlassen werden und, wenn alles gut geht, in die Ukraine zurückkehren können.
„Ich kann mich gar nicht genug bedanken, denn das Programm für medizinische Evakuierungen hat meinem Kind buchstäblich das Leben gerettet. Ich bin der Klinik in Stuttgart und all ihren Mitarbeitern und auch dem gesamten Team, das geholfen hat, die Evakuierung meines Kindes zu organisieren, so dankbar“, sagt sie. „Einfach nur dankbar, dankbar für ein ganzes Leben, dafür, dass sie das Leben meines Kindes gerettet haben.“
Das von WHO/Europa betriebene Medevac-Projekt (das aktuell bis Mitte 2025 finanziert ist) unterstützt die zuständige Koordinierungsstelle des Gesundheitsministeriums bei der Steuerung der Koordinierung aller Evakuierungen und bei der Gewährleistung der sicheren Rückkehr der Patienten in das nationale Gesundheitssystem nach Beendigung ihrer Behandlung im Ausland.