Hausärzte, oft auch als Allgemeinmediziner bezeichnet, spielen eine zentrale Rolle bei der Verbesserung der Bevölkerungsgesundheit und in einer personalisierten, umfassenden und kontinuierlichen Gesundheitsversorgung der Patienten.
Wir sprachen mit zwei Hausärztinnen aus Zentralasien, die uns erklärten, wie ihre Aufgaben aussehen und warum sie so wichtig für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sind. Dabei sprachen wir auch über die Herausforderungen, vor denen sie stehen. Dr. Indra Tezekova arbeitet als Hausärztin an einem Gesundheitszentrum in der kirgisischen Region Chüy.
„Ich kümmere mich um alle Mitglieder einer Familie, daher kenne ich ihre medizinischen Probleme und weiß, wie man sie lösen kann. Als ihre Ärztin kann ich eventuelle Erbkrankheiten und Erfahrungen mit früheren Erkrankungen berücksichtigen und Prioritäten für die Behandlung festlegen. Eine vollständige Anamnese, wie ich sie habe, ist oft der Schlüssel zu einer erfolgreichen Diagnose und zur Wahl der richtigen Behandlungsmethoden.“
Wie Dr. Tezekova betont auch Dr. Munirakhon Sodikova, Leiterin des Ausbildungs- und Klinikzentrums für Familienmedizin in der Region Sughd in Tadschikistan, die Vorteile eines umfassenden Überblicks über den Gesundheitszustand ihrer Patienten:
„Als Hausärzte bieten wir einen Rundum-Service mit einer kontinuierlichen Betreuung der Patienten von der Geburt bis ins hohe Alter. Wir kennen jede Familie und jedes Familienmitglied und können psychologische, soziale und ggf. palliative Betreuung anbieten.“
Die Bedeutung von Vertrauen in die Gesundheitsversorgung
Beide Ärztinnen waren sich darüber einig, dass der Aufbau von Vertrauen bei den Patienten entscheidend dazu beiträgt, ihre gesundheitlichen Bedürfnisse zu verstehen und sie dazu zu ermutigen, bei Bedarf Hilfe in Anspruch zu nehmen. Allerdings hatte jede ihre eigene Meinung dazu, wie dies erreicht werden kann.
„Vertrauen wird durch gute Kommunikation und die Demonstration meiner beruflichen Fähigkeiten und Kenntnisse aufgebaut“, meint Dr. Sodikova. „Wenn ich die Fragen meiner Patienten beantworten, ihren Zustand erklären, auf ihre Sorgen eingehen und klare Empfehlungen und Anweisungen geben kann, haben sie mehr Vertrauen in mich. Außerdem kommt es auf Taktgefühl, Geduld und Verständnis an.“
Dr. Tezekova hingegen ist der Meinung, dass Vertrauen vor allem dann entsteht, wenn ein Patient eine wirksame Behandlung erhalten hat:
„Als Hausärztin schaffe ich Vertrauen, indem ich ein breites Spektrum von Krankheiten frühzeitig erkenne und dann Behandlungen verschreibe, die wirken. In unserem Land gibt es auch eine starke Binnenmigration. Daher arbeite ich eng mit Kommunalverwaltungen und Gesundheitsbehörden zusammen, um die gesundheitlichen Bedürfnisse von Migranten besser zu verstehen und sicherzustellen, dass sie Zugang zu den von uns angebotenen Leistungen erhalten.“
Gesundheit jenseits der Gesundheitszentren
Doch die Aufgaben vieler Hausärzte umfassen weit mehr als Patientenbesuche. Wie Dr. Tezekova erklärt, tragen Aufklärung und das Aufsuchen der Menschen vor Ort wesentlich dazu bei, zu verhindern, dass Menschen überhaupt krank werden:
„Als Hausärztin nehme ich an Impftouren teil, halte Vorträge an Schulen über vermeidbare Krankheiten wie Typ-2-Diabetes und Hepatitis oder solche, die durch Rauchen verursacht werden. Außerdem halte ich Vorträge für schwangere Frauen darüber, wie man gesund bleibt und auf welche Warnsignale man achten sollte.“
Nicht in Isolation arbeiten
Bei der primären Gesundheitsversorgung geht es nicht nur um Hausärzte, sondern auch um den bedeutenden Beitrag von Pflegekräften und um die Zusammenarbeit multidisziplinärer Teams, auch in lokalen Gemeinschaften, wie Dr. Tezekova betont:
„Ich möchte die Rolle der kommunalen Gesundheitsteams hervorheben, die die Gesundheitszentren dabei unterstützen, durch eigene Initiativen die Determinanten von Gesundheit auf kommunaler Ebene anzugehen. Dies führt zu einem besseren Verständnis der medizinischen und ökologischen Zusammenhänge, was wiederum häufig zu positiven Verhaltensänderungen führt, wie z. B. zu einer gesünderen Ernährung und Lebensweise.“
Gesunder Planet, gesunde Menschen
Aufgrund ihrer Arbeit in Kirgisistan weiß Dr. Tezekova um die Zusammenhänge zwischen Umwelt und Gesundheit und die zentrale Bedeutung von Hausärzten für das allgemeine Wohlbefinden ihrer Patienten. Einige dieser Probleme versucht sie durch ihre Arbeit zu lösen:
„In unserem Land ist Smog, der durch die Verbrennung ungeeigneter Brennstoffe verursacht wird, weit verbreitet. Dies führt in der Bevölkerung zu Problemen mit der Atemgesundheit. Zu meinen Aufgaben gehört es, meine Patienten über die Bedeutung sauberer Luft aufzuklären und sie darüber zu informieren, was man verbrennen darf und was nicht. In abgelegenen Gebieten kann auch der Zugang zu sauberem Wasser und guten sanitären Einrichtungen problematisch sein. Daher gebe ich regelmäßig Ratschläge zu diesem Thema und weise auf die Bedeutung der Handhygiene für die Vermeidung von Infektionskrankheiten hin.“
Auch Dr. Sodikova ist der Meinung, dass Hausärzte dazu beitragen können, gesunde Entscheidungen zu treffen, die der Umwelt zugute kommen:
„Wenn man zu einem gesunden Lebensstil finden will, ist der Hausarzt ein guter Verbündeter. Er ist am besten in der Lage, über umweltbedingte Risikofaktoren und Möglichkeiten zu deren Minderung Auskunft zu geben – egal, ob es sich um Luft- oder Wasserverschmutzung oder Rauchen handelt – und u. a. für die gesundheitlichen Vorteile von Zufußgehen gegenüber dem Autofahren zu werben.“
Eine tickende Zeitbombe
Wie in vielen anderen Ländern der Europäischen Region der WHO herrscht auch in den zentralasiatischen Ländern, zu denen Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan gehören, ein Mangel an Hausärzten und anderen Gesundheitsfachkräften, und die Alterung der Erwerbsbevölkerung droht diesen Mangel in Zukunft noch zu verschärfen. So sind laut einer Studie aus dem Jahr 2020 30 % der Hausärzte in Kirgisistan bereits im Rentenalter. Oft springen Pflegekräfte ein, um den Mangel an Hausärzten auszugleichen, aber es ist weder fair noch nachhaltig, ihnen diese zusätzliche Last aufzubürden.
Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen beschränkt sich bei weitem nicht auf Zentralasien; deshalb warnt WHO/Europa in seinem Bericht mit dem Titel „Gesundheits- und Pflegepersonal in Europa – Zeit zu handeln“ vor den Folgen dieser Krise für die Europäische Region. Inzwischen hat WHO/Europa einen Handlungsrahmen ausgearbeitet, dem alle 53 Mitgliedstaaten in der Europäischen Region zugestimmt haben.
Herausforderungen und Maßnahmen zur Behebung des Hausärztemangels
Im Rahmen ihrer Gesundheitsreformen haben viele zentralasiatische Länder die Familienmedizin in die medizinische Ausbildung und in die primäre Gesundheitsversorgung aufgenommen. Doch diese Länder stehen immer noch vor der Herausforderung, der Familienmedizin in der Bevölkerung Anerkennung und Respekt zu verschaffen, da die Patienten traditionell Diagnosen und Behandlungen von Fachärzten suchen.
Dieses Problem wird noch dadurch verschärft, dass viele dieser Länder Schwierigkeiten haben, ausreichend Medizinstudenten für den Beruf des Hausarztes zu gewinnen. Dies macht sich vor allem in ländlichen, abgelegenen und bergigen Regionen bemerkbar, wo der Ärztemangel den Patienten den Zugang zu einer angemessenen Versorgung erschwert. Um diesen Mangel zu beheben, haben einige Länder Zentralasiens Regelungen eingeführt, die es Medizinabsolventen mit einer sechsjährigen ärztlichen Ausbildung ermöglichen, eine dem Hausarzt gleichwertige Stelle anzutreten.
Stärkung der Hausärzte in Zentralasien
Das WHO-Regionalbüro für Europa unterstützt die Länder Zentralasiens fachlich dabei, ihre primäre Gesundheitsversorgung auf die sich verändernden gesundheitlichen Bedürfnisse ihrer Bevölkerung einzustellen.
Dazu gehören vorläufige Bewertungen der primären Gesundheitsversorgung und des Gesundheitspersonals, die die Art der Unterstützung durch die WHO konkret ermitteln und gestalten, um Zugänglichkeit und Qualität der Gesundheitsangebote auf Ebene der Primärversorgung zu verbessern. Die Anzahl und Verteilung von Gesundheitsfachkräften mit den richtigen Qualifikationen ist ein wesentlicher Bestandteil davon, wobei Hausärzten eine zentrale Rolle bei der Verringerung der Krankheitslast für Gesellschaften und Volkswirtschaften zukommt.
Darüber hinaus haben Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan 2022 den Fahrplan für Gesundheit und Wohlbefinden in den Ländern Zentralasiens (2022–2025) verabschiedet – den ersten Fahrplan dieser Art in der Teilregion Zentralasien, der als Grundlage dient, um bei Mittelbeschaffung und Investitionsmöglichkeiten für die Gesundheit „geschlossen aufzutreten“.
Um die Stärkung der Familienmedizin in Zentralasien weiter zu fördern, wird WHO/Europa auch einen fachlichen Workshop in Kasachstan veranstalten, um Modelle der Familienmedizin aus der gesamten Europäischen Region vorzustellen und die bisherigen Erfahrungen mit der Einführung einer obligatorischen Facharztausbildung für Allgemein- oder Hausärzte sowie von multidisziplinären Teams für die primäre Gesundheitsversorgung zu präsentieren.