Andreea Afumateanu ist es gewohnt, unter schwierigen und gefährlichen Bedingungen zu arbeiten. Als Hauptmann in der Abteilung für Friedenseinsätze der Vereinten Nationen war sie an Friedenseinsätzen im Südsudan sowie in Indien und Pakistan beteiligt. Doch in ihrer Rolle als Gesundheitskoordinatorin der Vereinten Nationen/Koordinatorin der Schaltzentrale in Gaziantep (Türkei), dem Epizentrum des Erdbebens der Stärke 7,7 vom 6. Februar, war die Situation eine andere.
„Im Sudan, in Indien und in Pakistan war die Angst, die man verspürte, eine, die sich unter Kontrolle bringen ließ, da man wusste, was der nächste Tag bringen würde und wie lange man dem Risiko ausgesetzt sein würde. Und am Ende wusste man, dass man an einen sicheren Ort zurückkehren würde. Hier ist man jedoch, wo immer man sich aufhält – und dabei ist es ganz egal, ob man in einem Hotel untergebracht ist oder in einem Zelt – jederzeit dem Risiko ausgesetzt, allein deshalb, weil man sich an diesem Ort aufhält.“
Normalerweise arbeitet Andreea als Leiterin einer Klinik in Bukarest (Rumänien), doch in der ersten Woche ihres Einsatzes in der Türkei erlebte sie, was es heißt, ein Erdbeben mitzuerleben.
„Wir trafen am 20. Februar in Gaziantep ein und fuhren zu unserem Hotel. Am gleichen Tag begann das Gebäude zu wackeln, während ich mich in meinem Zimmer aufhielt. Mein erster Gedanke war ,Vielleicht geht es mir nicht gut.‘ Doch dann berührte ich die Wand – sie bewegte sich –, und ich realisierte, dass es ein Erdbeben war. Ich ging nach unten zu meinem Kollegen. Um mich herum liefen überall Menschen umher, die ihre Schuhe in den Händen hielten. Viele Menschen schrien.“
Andreea erzählt uns, wie dieses dritte Erdbeben, das die Region innerhalb weniger Wochen erschütterte, die Angst bei Überlebenden und ihre psychischen Folgen noch verschärfte.
„Die Menschen trauen ihrer Umgebung nicht mehr und haben Angst. Sie brauchen psychologische Hilfe aufgrund der vielen Dinge, die sie erlebt haben, und der vielen, vielen Dinge, die sie verloren haben – Angehörige, ihre Häuser, ihre Autos –, und jetzt leben sie in Zelten, unter solch außergewöhnlichen Umständen.“
Seit Beginn der Erdbeben haben 3,3 Mio. Menschen ihr Zuhause verloren und wurden – innerhalb wie auch außerhalb der betroffenen Gebiete –vertrieben, während 2,4 Mio. Menschen in Zelten oder Notunterkünften leben. Insgesamt wird Schätzungen zufolge davon ausgegangen, dass 15 Mio. Menschen auf irgendeine Weise von der Katastrophe betroffen sind.
Trotz der gewaltigen Aufgabe des Wiederaufbaus ist Andreea beeindruckt von der Reaktion der türkischen Behörden und der internationalen Gemeinschaft zur Unterstützung der betroffenen Bevölkerung. Es werden Container bereitgestellt, um die Zelte zu ersetzen und um eine sicherere und hygienischere Art von Unterkunft zu bieten, während Häuser wiederaufgebaut werden.
„Das Gesundheitsministerium leistet großartige Arbeit bei der Mobilisierung Tausender Gesundheitsfachkräfte, während unser Job darin besteht, ihre Projekte durch fachliche Unterstützung zu ergänzen und bei der Koordination der Hilfsmaßnahmen zu helfen und zu ermitteln, was zu tun ist“, erzählt uns Andreea. „Unsere gemeinsame Priorität muss darin bestehen, die Bevölkerung zu schützen, indem ein hoher Standard an Hygiene für die Menschen in Notunterkünften gewährleistet wird, und sicherzustellen, dass die Menschen über einen zuverlässigen Zugang zu Nahrungsmitteln und Wasser verfügen.“
Während ihres Aufenthalts in der Türkei hat Andreea zudem viele internationale medizinische Notfallteams (EMT) getroffen, die in die Region entsandt wurden, um das schwer beeinträchtigte türkische Gesundheitssystem zu unterstützen. Nachdem 28 Gesundheitseinrichtungen durch die Erdbeben schwer beschädigt und 82 teilweise beschädigt wurden und Krankenhäuser noch immer mit einer großen Anzahl an Opfern zu kämpfen haben, hat sich ihre Unterstützung als äußerst wertvoll erwiesen.
„In Kahramanmaraş, dem Epizentrum des zweiten Bebens, habe ich Ärzte der aserbaidschanischen Armee getroffen, die mit einem EMT aus dem Vereinigten Königreich unter der Leitung der von der WHO in Adana eingerichteten Koordinationsstelle medizinischer Notfallteams zusammengearbeitet haben. Sie haben großartige Arbeit geleistet und gezeigt, inwiefern die Kooperation und Solidarität mit dem türkischen Volk ein wesentliches Merkmal dieser Hilfsmaßnahmen darstellen.“
Andreea ist auch beeindruckt von der türkischen Bevölkerung. „Man kann ihnen ihren Willen ansehen, diese Katastrophe hinter sich zu lassen, nach vorne zu blicken und ihr Leben wiederaufzubauen. Bei Menschen jeden Alters, und selbst bei Kindern, erlebt man eine unglaubliche Widerstandskraft. Ich finde es bemerkenswert, dass sie die Kraft haben, weiterzumachen.“
Fast einen Monat nach ihrer Ankunft in der Türkei hat Andreea nun das Gefühl, dass es an der Zeit ist nach Hause, nach Rumänien zurückzukehren. „Selbst wenn ich schlafe, träume ich von Erdbeben. Deshalb glaube ich, dass es Zeit für eine Pause ist. Doch natürlich kehre ich gern nach Gaziantep zurück, wenn ich hier gebraucht werde.“
Die WHO und die Erdbebenkatastrophe in der Türkei
WHO-Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus und der WHO-Regionaldirektor für Europa, Dr. Hans Henri P. Kluge, besuchten beide Ende Februar die Türkei, um die laufenden Hilfsmaßnahmen zu besprechen. Sie trafen sich mit dem türkischen Gesundheitsminister, der nationalen Organisation für Katastrophenhilfe AFAD, nationalen und internationalen Gesundheitsfachkräften sowie anderen von den Erdbeben Betroffenen.
Während ihres Besuchs brachten sie die Solidarität der WHO mit den Menschen in der Türkei sowie ihr Beileid zum Ausdruck und bekräftigten die anhaltende Unterstützung der Organisation und unterstrichen ihre Anerkennung für die Widerstandskraft der Menschen vor Ort – insbesondere des Gesundheitspersonals.
Im Rahmen ihrer Hilfsmaßnahmen hat die WHO:
- die umfangreichste Entsendung von EMT in ein Katastrophengebiet in der Europäischen Region der WHO in seiner 75-jährigen Geschichte eingeleitet, in deren Zusammenhang die Teams in die anhaltenden Gesundheitsschutzmaßnahmen in der Türkei integriert wurden, um eine wichtige Notfallversorgung zu leisten, Operationen durchzuführen und den Zugang zu Angeboten der primären Gesundheitsversorgung zu ermöglichen, während sie gleichzeitig die nationalen Kapazitäten für die Notfallvorsorge und -reaktion stärken (EMT haben bislang in den am stärksten betroffenen Gebieten über 50 000 medizinische Konsultationen durchgeführt);
- Schulungen in psychologischer erster Hilfe für 563 Beschäftigte des türkischen Gesundheitsministeriums und 913 Beschäftigte des Ministeriums für Familie und Soziales angeboten und das seelische Wohlbefinden des Gesundheitspersonals gefördert, indem sie eine entsprechende Betreuung für 785 psychosoziale Beschäftigte aus beiden Ministerien bereitstellte;
- in Kooperation mit der Abteilung für Gesundheitsförderung des Gesundheitsministeriums und mit Unterstützung des WHO-Teams für Risikokommunikation und Bürgerbeteiligung Gesundheitsbotschaften ausgearbeitet;
- rund 23 000 metrische Tonnen lebenswichtiger Gesundheitsgüter sowie Laborreagenzien und Behandlungsmittel für Krätze und Läuse geliefert;
- einen Flash-Appell über 84,57 Mio. US-$ für die Erdbebenhilfe in der Türkei und ganz Syrien gestartet und die weltweite Gemeinschaft dazu aufgefordert, Unterstützung zu leisten und Hoffnung zu schenken für diejenigen, die trauern, traumatisiert sind und Angst vor der Zukunft haben; und
- 16 Mio. US-$ aus ihrem Notfallfonds für gesundheitliche Notlagen freigegeben.