Die Erdbeben im Südosten der Türkei – die schlimmsten seit über 80 Jahren – haben nicht nur zu vielen Toten sowohl in der Türkei als auch in Syrien geführt, sondern auch zu Tausenden Verletzten, zur Vertreibung von Menschen aus ihren Häusern und zu erheblichen Schäden an zahlreichen Gebäuden bzw. zu deren Einsturz, darunter mindestens 15 Krankenhäuser. Auch viele weitere gesundheitliche Einrichtungen sind stark betroffen.
Die Koordinationsstelle medizinischer Notfallteams (EMTCC) in der Türkei überwacht mittlerweile die Arbeit von 29 zugelassenen medizinischen Notfallteams (EMT) aus 22 Ländern, deren vorrangige Aufgabe darin besteht, die bei den Erdbeben beschädigten Krankenhäuser sowie jene Einrichtungen, die eine große Anzahl an Traumapatienten aufgenommen haben, zu unterstützen.
Der Leiter des Globalen Netzwerks der WHO, Flavio Salio, äußerte sich zum Ausmaß dieser Aufgabe:
„Die WHO hat die umfangreichste Entsendung von EMT in ein Katastrophengebiet in der Europäischen Region der WHO in seiner 75-jährigen Geschichte eingeleitet. Diese Teams werden in die anhaltenden Gesundheitsschutzmaßnahmen in der Türkei integriert und leisten eine wichtige Notfallversorgung, führen Operationen durch und ermöglichen den Zugang zu Angeboten der primären Gesundheitsversorgung, während sie gleichzeitig die nationalen Kapazitäten für die Notfallvorsorge und -reaktion stärken. Unser Hauptaugenmerk liegt nun darauf, Menschenleben zu retten, die Verletzten zu versorgen und sicherzustellen, dass diejenigen, die überlebt haben, auch weiterhin am Leben bleiben.“
Oleg Storozhenko, Ansprechperson für EMT bei WHO/Europa, erklärt: „Ein zentrales Merkmal der entsandten EMT ist ihre Eigenständigkeit. Sämtliche Mitglieder der Teams sind voll ausgebildet, verfügen über die in dieser Situation notwendigen Fähigkeiten und bringen ihre eigene Ausrüstung und ihre eigenen Versorgungsgüter mit, um die bereits stark überlasteten nationalen Gesundheitssysteme der Türkei nicht noch weiter zu belasten.“
Interview mit einem türkischen EMT
Eines der Teams, das an der internationalen Reaktion beteiligt ist, ist die 18. UMKE-Gruppe aus der Provinz İzmir. UMKE steht für nationales medizinisches Rettungsteam und ist Teil des türkischen Gesundheitsministeriums. Es leistet medizinische Hilfe bei Naturkatastrophen und Unfällen. Wir waren in der Lage, mit zwei Mitgliedern des Teams zu sprechen, Okan Çakal aus der Einheit für aktive Katastrophenhilfe und Mustafa Küçük, einem Spezialisten für Notfallmedizin.
„Unser Team erreichte die betroffenen Gebiete in der Provinz Hatay 10–12 Stunden, nachdem die Alarmstufe Rot ausgelöst worden war, was unmittelbar nach den Erdbeben geschah“, erzählt uns Okan. „Unser Team besteht aus 644 Gesundheitsfachkräften, die viele multidisziplinäre Dimensionen abdecken, darunter etwa Fachärzte, Pflegekräfte, Hebammen, Sanitäter, Laborfachkräfte, Fachkräfte für Radiologie und Anästhesie.“
Sowohl Okan als auch Mustafa erkennen an, dass die Aufgabe, mit der ihr medizinisches Notfallteam – wie auch andere Teams – konfrontiert ist, enorm ist angesichts der Zahl der betroffenen Menschen, der Größe des betroffenen Gebiets und der Schwierigkeit, einige Teile der von schweren Erdbebenschäden betroffenen Provinzen zu erreichen.
„Diese Notlage ist eine der größten Katastrophen, von denen unser Land jemals getroffen wurde. Daher können wir sagen, dass dies die schwierigste Aufgabe ist, vor der unser Team jemals stand“, räumt Okan ein.
Doch trotz der gewaltigen Herausforderung kamen Ausbildung und Vorbereitung des Teams schon lange vor ihrer Ankunft am Einsatzort zum Tragen, wie Mustafa erzählt:
„Als nationales medizinisches Rettungsteam reagieren wir unverzüglich auf sämtliche Notfallsituationen und Katastrophen. Am Morgen des Erdbebens haben wir uns organisiert und uns von İzmir aus auf den Weg gemacht und sind dann gegen 22 Uhr im Universitätskrankenhaus Mustafa Kemal, dem einzigen intakten Krankenhaus im Stadtzentrum von Hatay, eingetroffen. Sobald wir angekommen waren, haben wir die Koordination im Krankenhaus übernommen und zusammen mit dem Krankenhauspersonal das Versorgungsangebot neu organisiert. Wir haben die Triage übernommen und die Teams vor Ort innerhalb der vorhandenen Systeme für die Patientenversorgung unterstützt. Darüber hinaus sind wir darum bemüht, Feldlazarette einzurichten und zu leiten.“
Da sie nur eines von vielen EMT sind, die in den von den Erdbeben in der Türkei betroffenen Gebieten tätig sind, unterstreicht Okan die gemeinsame Zielsetzung aller Teams vor Ort:
„Die Solidarität zwischen den Teams ist großartig. Als UMKE-Mitglieder vermitteln wir einander die Bedeutung von Solidarität, Kooperation und vor allem Teamgeist, und verfolgen gemeinsam die vorrangige Aufgabe, Menschen zu helfen.“
Die Rolle von EMT in Notfallsituationen
EMT sind eine wichtige Komponente des globalen Gesundheitspersonals. Sie liefern zusätzliche Notfallkapazitäten und Sachkenntnis für die Länder in Reaktion auf Katastrophen und gesundheitliche Notlagen. Die sich aus Ärzten, Pflegekräften, Rettungssanitätern und anderen Gesundheitsfachkräften aus aller Welt zusammensetzenden Teams können schnell eingesetzt werden, um Patienten während Krankheitsausbrüchen oder plötzlich eintretenden Krisensituationen – wie jetzt bei den Erdbeben in der Türkei – zu helfen.
Prof. Johan von Schreeb vom Forschungszentrum für Gesundheitsversorgung in Krisensituationen, einem WHO-Kooperationszentrum, erläutert die Hintergründe zur Einrichtung von EMT: „Die EMT-Initiative wurde nach dem Erdbeben in Haiti im Jahr 2010 ins Leben gerufen. Mittlerweile ist daraus ein qualitätsgesichertes und koordiniertes weltweites System geworden, ähnlich einer Notrufnummer, die betroffene Länder anrufen können, um bei Bedarf zusätzliche klinische Notfallkapazitäten zu erhalten.“
Die Rolle der WHO in der EMT-Initiative
Die WHO leitet und koordiniert die EMT-Initiative auf der globalen Ebene, wobei mehr als die Hälfte des EMT-Personals in der Europäischen Region der WHO im Einsatz ist.
Bei gesundheitsbezogenen Krisen unterstützt die WHO die Gesundheitsministerien der betroffenen Länder bei der Koordination der Ankunft, Registrierung, Lizensierung, Aufnahme und Aufgabenzuteilung der EMT, sowie bei ihrer Integration in die bestehenden Gesundheitssysteme, um beim Aufbau nationaler Kapazitäten für die Notfallvorsorge und reaktion zu helfen.