The Norwegian Directorate of Health & Breastfeeding Unit, Norwegian Institute of Public Health
Konzepte zur Förderung der Vereinbarkeit von Arbeit und Kindererziehung können erheblich dazu beitragen, zum Stillen zu ermutigen und es zu unterstützen
© Credits

Norwegens anhaltende Bemühungen um eine optimale Unterstützung des Stillens

3 August 2023
Pressemitteilung
Reading time:
Die Stillraten in der Europäischen Region der WHO zählen zu den niedrigsten weltweit. Einige Länder sind bei der Bekämpfung des bedauerlichen Trends erfolgreicher als andere, indem sie eine Reihe wirksamer sozialer Maßnahmen eingeführt haben – und Norwegen hat sich in dieser Hinsicht als eines der führenden Länder erwiesen. Das für seine progressiven sozialen Konzepte bekannte Land hat einen umfassenden Rahmen für Elternurlaub und die Unterstützung stillender Mütter entwickelt, der unablässig weiterentwickelt wird. 

Dieser Rahmen kam aufgrund des Aktivismus norwegischer feministischer Gruppen und der von Müttern geleiteten Beratungsgruppe für stillende Mütter namens Ammehjelpen zustande, die sich seit über einem halben Jahrhundert für die Rechte erwerbstätiger Frauen einsetzen. Eine der Stimmen der Bewegung für stillende erwerbstätige Mütter ist Dr. Anne Bærug, eine Wissenschaftlerin und Ernährungsspezialistin aus dem für das Stillen zuständigen Referat des norwegischen Instituts für öffentliche Gesundheit.

„Wir müssen Politikern und der allgemeinen Bevölkerung verständlich machen, dass Stillen tatsächlich zur Gesundheit von Kindern und Müttern sowie zur Ernährungssicherheit und der Verbesserung der CO2-Bilanz beiträgt. Doch wie mit allen anderen Tätigkeiten auch braucht es dafür Zeit, daher sollte Frauen ausreichend Zeit für diesen „Job“ zur Verfügung gestellt werden. Denn dies ist eine Investition, die der gesamten Gesellschaft zugutekommt.“

Norwegens Konzept für den Elternurlaub: eine wesentliche Stütze

Eltern in Norwegen haben in Zusammenhang mit der Geburt ihres Kindes und der nachgeburtlichen Zeit Anspruch auf insgesamt 12 Monate bezahlten Urlaub. Das Konzept für den Elternurlaub in Norwegen sticht aufgrund seiner dreiteiligen Struktur heraus: Ein Teil ist der Mutter vorbehalten (der mütterliche Anteil), ein Teil für den Vater oder die zweite Mutter vorgesehen (der elterliche Anteil), und ein Teil kann beliebig zwischen den Elternteilen aufgeteilt werden (der gemeinsame Zeitraum).

Jeder elterliche Anteil umfasst mindestens 15 Wochen bei voller Bezahlung oder 19 Wochen mit 80 % des Gehalts. Die letzten drei Wochen vor der Entbindung und die ersten sechs Wochen nach der Entbindung sind der Mutter vorbehalten. Der gemeinsame Zeitraum, der sich auf 16 oder 18 Wochen erstrecken kann, je nach Höhe der Bezahlung, kann von beiden Elternteilen genutzt werden.

Über diesen bezahlten Urlaub hinaus hat jedes Elternteil Anspruch auf ein zusätzliches Jahr unbezahlten Urlaubs für jede Geburt, um die Zeit der Bindungsstärkung zwischen Eltern und Kind und der Fürsorge zu verlängern.

Diese dreiteilige Struktur des norwegischen Konzepts für den Elternurlaub wurde nicht willkürlich gewählt. Sie wurde sorgfältig ausgearbeitet, um zu verhindern, dass durch einen allzu langen Mutterschaftsurlaub das Karrierewachstum und die Gehaltssteigerung für Frauen behindert werden, um die gemeinsame Versorgung der Kinder und die gemeinsame Hausarbeit zu fördern, und um die Bindung zwischen Vater und Kind zu verbessern. Fast die Hälfte aller Mütter nimmt jedoch nach dem bezahlten Urlaub zusätzlich unbezahlten Urlaub, da sie mehr Zeit mit ihrem Baby und für das Stillen brauchen.

Im Rahmen der Förderung des Stillens am Arbeitsplatz haben Mütter in Norwegen Anspruch auf eine einstündige bezahlte Pause für das Stillen täglich, wobei einige Arbeitsbereiche, insbesondere der öffentliche Sektor, bis zu zwei Stunden täglich erlauben. Doch für Frauen in der Schichtarbeit ist es oft schwierig, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Während das Vorhandensein spezieller Örtlichkeiten für das Stillen variiert, wird das Stillen in der Öffentlichkeit in Norwegen weitgehend akzeptiert und praktiziert, wodurch Mütter davor bewahrt werden, sich für das Stillen ihres Babys zurückziehen und verstecken zu müssen. 

Die Auswirkungen des Elternurlaubs 

Seit der Einführung des bezahlten Mutterschaftsurlaubs im Jahr 1977 hat Norwegen enorme Verbesserungen bei einer Reihe von Resultaten im Bereich der Müttergesundheit erzielt. Studien haben nachweislich positive Dynamiken bei Body-Mass-Index (BMI), Blutdruck, psychischer Gesundheit und gesundheitsförderlichem Verhalten wie Bewegung und Rauchverzicht aufgezeigt. Diese Folgen waren besonders auffällig bei Frauen, die zum ersten Mal Mutter werden, sowie Müttern mit geringem Einkommen.

Auf der anderen Seite ist im Hinblick auf die Auswirkungen des dreiteiligen Elternurlaubs auf das Gehalt und die Karriere von Müttern eine weitere Überprüfung erforderlich. Fast die Hälfte aller Mütter entscheidet sich nach wie vor für unbezahlten Urlaub im Anschluss an den bezahlten Urlaub und opfert dafür während dieser Zeit potenziell ihr Karrierewachstum und ihre vom Dienstalter abhängigen Rechte. Dies unterstreicht den Bedarf für Konzepte, die ein Gleichgewicht zwischen Karrierewachstum und der wirksameren Ermöglichung des Stillens herstellen können.

Argumente für eine Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs

Es herrscht eine anhaltende Debatte über die Notwendigkeit einer Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs auf mindestens 36 Wochen nach der Entbindung bei voller Bezahlung.

Dr. Bærug argumentiert, dass dadurch mehr Müttern das Stillen gemäß Empfehlungen der WHO wie auch nationalen Empfehlungen ermöglicht würde, darunter etwa das ausschließliche Stellen während der ersten sechs Lebensmonate und die anschließende schrittweise Einführung fester Nahrung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer hohen Muttermilchproduktion. Dadurch werde nicht nur die Lebensmittelproduktion und Ernährungssicherheit unterstützt sowie die Umwelt geschont, sondern es werde auch zum Abbau sozialer Ungleichheiten in Bezug auf das Stillen und in erheblichem Maße zur Gesundheit von Mutter und Kind beigetragen.

„Meiner Ansicht nach sind die Stillraten in Norwegen im Allgemeinen gut im Vergleich zu vielen anderen Ländern mit hohem Volkseinkommen, doch der Gebrauch von Muttermilchersatzprodukten ist höher als er sein sollte. Daher würde ich nicht sagen, dass unser Land für Mütter und Säuglinge perfekt ist, denn das ist es nicht. Wir sind kontinuierlich darum bemüht, wissenschaftliche Erkenntnisse darüber vorzulegen, inwiefern das Stillen der Gesellschaft zugutekommt, und wir arbeiten in diesem Bereich eng mit WHO/Europa zusammen, um uns weiter für die Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs und die Unterstützung des Stillens einzusetzen. Wir fordern seit Langem die Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs auf 8 Monate, doch dies wird bereits seit vielen Jahren debattiert, und es geht hin und her, da es zu diesem Thema viele unterschiedliche Argumente gibt. Ich persönlich bin der Ansicht, dass eine Quote für Väter ebenfalls wichtig wäre. Doch ich denke, dass wir realisieren müssen, dass nur Frauen in der Lage sind zu stillen“, schließt Dr. Bærug.

Während verschiedene Länder weltweit darum bemüht sind, ein Gleichgewicht zwischen den Ansprüchen der Arbeitswelt und der Kindererziehung herzustellen, bietet das norwegische Modell wertvolle Einsichten. Mit seinem innovativen Ansatz für eine gemeinsame Verantwortung und einem flexiblen Rahmen hat Norwegen einen hohen Standard für die Förderung des Stillens und die Ausweitung der Unterstützung für Mütter gesetzt. Die anhaltende Herausforderung besteht darin, Mütter in die Lage zu versetzen, ihre Karriere bei gleichzeitiger Befolgung der empfohlenen Stillpraktiken zu gestalten, und dabei während der ersten Lebensmonate ausreichend Zeit mit ihren Babys zu verbringen – ein Dilemma, das kontinuierliche Forschungsarbeit, politische Innovation und öffentliche Debatten erforderlich macht.

Darüber hinaus ist es von entscheidender Bedeutung anzuerkennen, dass Stillen ein wesentlicher Bestandteil der Gesundheit und des Wohlbefindens der nächsten Generation ist. Muttermilch ist das ideale Nahrungsmittel für Säuglinge und sorgt für optimales Wachstum und eine optimale Entwicklung. Sie schützt vor vielen gängigen Kinderkrankheiten. Kinder, die gestillt wurden, sind seltener übergewichtig oder adipös und erkranken im späteren Lebensverlauf seltener an Diabetes. Stillende Frauen haben zudem ein geringeres Risiko für Brust- und Eierstockkrebs.

Angesichts der anhaltenden Bemühungen und Überzeugungsarbeit besteht die Hoffnung, dass mehr Länder sich um die Schaffung von Umfeldern bemühen werden, die stillende Mütter tatsächlich unterstützen. Dies würde uns einer Zukunft näherbringen, in der das Stillen am Arbeitsplatz normal ist und wertgeschätzt wird, und die Gesundheit und Entwicklung unserer Kinder eine Priorität darstellt.