Kluft im Bereich der digitalen Gesundheit: nur jedes zweite Land in Europa und Zentralasien verfügt über Konzepte zur Verbesserung der digitalen Gesundheitskompetenz, sodass Millionen zurückgelassen werden

Bahnbrechender Bericht des WHO-Regionalbüros für Europa fordert dringend Investitionen, Innovation und Inklusion, um von den Vorteilen der digitalen Gesundheit profitieren zu können

5 September 2023
Medienmitteilung
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Porto, 5. September 2023

Die Anwendung digitaler Lösungen im Gesundheitswesen hat in den letzten Jahren in allen Teilen der Europäischen Region der WHO zugenommen, wodurch sich die Art der Gesundheitsversorgung, die Patienten in Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung, in Krankenhäusern wie auch zu Hause erhalten, verändert hat. Digitale Lösungen verändern die Art und Weise, wie Gesundheitsfachkräfte Diagnosen stellen und Erkrankungen von Krebs über Diabetes bis hin zur psychischen Gesundheit behandeln. Nun müssen auch die Länder ihre Investitionen in digitale Gesundheitstechnologien und entsprechende Plattformen intensivieren, um den Zugang zur digitalen Gesundheit für alle zu verbessern. 

Ein neuer Bericht mit dem Titel „Digitale Gesundheit in der Europäischen Region: der lange Weg zu Verpflichtung und grundlegender Umgestaltung“, der heute in Porto auf dem Zweiten Symposium der WHO zur Zukunft der Gesundheitssysteme im digitalen Zeitalter in der Europäischen Region veröffentlicht wird, befasst sich mit allen 53 Mitgliedstaaten in der Region. Während die COVID-19-Pandemie in vielen Ländern die Entwicklung und Nutzung digitaler Gesundheitstools und entsprechender Konzepte in Reaktion auf Lockdowns und soziale Distanzwahrung beschleunigt hat, etwa bei der Telemedizin und bei nutzerfreundlichen Gesundheits-Apps, unterstreicht der Bericht, dass noch viel zu tun bleibt. 

Die zweitägige Veranstaltung, die vom portugiesischen Gesundheitsministerium mitorganisiert wurde, bringt über 500 Teilnehmer zusammen – darunter Vertreter von Regierungen und der Zivilgesellschaft, Experten für digitale Gesundheit und andere maßgebliche Akteure –, um besser zu verstehen und zu erörtern, inwiefern die Länder und die Industrie zusammenarbeiten können, um die bestehenden Lücken im Bereich der digitalen Gesundheit zu schließen. Mit diesem Bericht will das Regionalbüro die positiven Aspekte der sich rasch entwickelnden Technologie, einschließlich künstlicher Intelligenz (KI), maximieren und gleichzeitig die mit diesen wichtigen Innovationen verbundenen möglichen Risiken und negativen Auswirkungen abschwächen.

Die Kluft im Bereich der digitalen Gesundheit

Ein zentrales Risiko ist die Kluft im Bereich der digitalen Gesundheit, die durch die uneinheitliche Verbreitung und Umsetzung digitaler Lösungen bedingt ist. Dies bedeutet, dass Millionen Menschen in der ganzen Region nach wie vor nicht in der Lage sind, von digitalen Gesundheitstechnologien zu profitieren. Dieses Ungleichgewicht muss dringend angegangen werden, und zwar durch gezielte Investitionen in entsprechende Technologien und den Aufbau entsprechender Fähigkeiten und Kompetenzen bei Gesundheitsanbietern, damit jeder Zugang zu digitalen Gesundheitstechnologien erhält und diese selbstbewusst nutzen kann, insbesondere jene Menschen, die am stärksten von ihnen profitieren würden. 

„Es ist eine traurige Ironie, dass Menschen mit eingeschränkten oder gar keinen digitalen Fähigkeiten oft diejenigen sind, die am meisten von digitalen Gesundheitstools und digitalen Interventionen profitieren könnten – darunter etwa ältere Menschen oder ländliche Gemeinschaften. Für die digitale Umgestaltung des Gesundheitswesens ist es dringend notwendig, dieses Ungleichgewicht zu beheben“, erklärte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa. „Es ist klar, dass digitale Gesundheit die Gegenwart und Zukunft unserer Gesundheitssysteme darstellt, doch wie bei jeder neuen Technologie gibt es immer Gewinner und Verlierer. Daher ist es umso wichtiger, dass wir im Bereich der digitalen Gesundheit – einer Flaggschiff-Initiative des Europäischen Arbeitsprogramms der WHO – gewährleisten, dass jeder auf der Gewinnerseite steht, jeder profitiert und niemand zurückgelassen wird.“

Der Bericht verdeutlicht, dass die große Mehrheit der Länder in der Europäischen Region (44) über eine nationale Strategie für digitale Gesundheit verfügt. Besonders wichtig ist, dass alle 53 Mitgliedstaaten über Gesetze zum Schutz persönlicher Daten verfügen. 

Doch der Bericht verweist auch auf erhebliche Lücken und Bereiche mit Verbesserungspotenzial: 
  • So haben nur 19 Länder Leitfäden für die Evaluierung digitaler Gesundheitsinterventionen entwickelt, die entscheidend sind, um die Sicherheit und Wirksamkeit dieser Interventionen sicherzustellen.
  • Nur etwas mehr als die Hälfte der Länder in der Region hat Konzepte zur Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz erarbeitet und einen Plan zur Förderung der digitalen Inklusion umgesetzt.
  • Dreißig Länder haben Gesetze eingeführt, um während der COVID-19-Pandemie die Telemedizin zu unterstützen. 
  • Vielen Ländern fehlt es nach wie vor an einer zuständigen Einrichtung, die mit der Überwachung mobiler Gesundheits-Apps (sogenannter mHealth-Apps) im Hinblick auf deren Qualität, Sicherheit und Zuverlässigkeit betraut ist, und nur 15 % berichten, Evaluationen staatlich mitfinanzierter mHealth-Programme vorgenommen zu haben. 
  • Etwas mehr als die Hälfte der Länder hat eine Datenstrategie ausgearbeitet, mit der die Nutzung von Big Data und fortschrittlicher Analytik im Gesundheitswesen reguliert wird. 
„Wir stehen derzeit an einem spannenden Punkt, dem Schnittpunkt zwischen Gesundheit, Wohlbefinden und Technologie, an dem digitale Tools und Gesundheitsversorgung aufeinandertreffen“, erklärte Dr. Natasha Azzopardi-Muscat, Direktorin der Abteilung Gesundheitspolitik und Gesundheitssysteme der Länder im WHO-Regionalbüro für Europa. „Unser Bericht zeigt eindeutig sowohl unsere Fortschritte als auch jene Aspekte auf, die zusätzlicher Aufmerksamkeit bedürfen: etwa, um sicherzustellen, dass die Menschen digitalen Gesundheitstools vertrauen können und dass jeder überall gleichberechtigten Zugang zu ihnen erhält. Hierzu bedarf es einer besonderen Fokussierung auf Frauen und Mädchen, die in vielen Gesellschaften oft ausgeschlossen werden, wenn es um den Zugang zu den aktuellsten technologischen Fortschritten geht. Um die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern bei digitalen Fähigkeiten zu beheben, ist es von entscheidender Bedeutung, die möglichen gesundheitlichen Vorteile derartiger Technologien für Frauen und Mädchen – sowie über sie auch für ihre Gemeinschaften und die breitere Gesellschaft – in vollem Umfang auszuschöpfen.“ 

Der Weg zur digitalen Umgestaltung im Gesundheitswesen

Der Bericht hebt drei wichtige Empfehlungen als Voraussetzungen für die Länder hervor, um ihre Gesundheitssysteme durch die Verbesserung digitaler Gesundheitslösungen zu stärken: 
  • Bereitstellung eines zuverlässigen, kostengünstigen Breitbandzugangs für jeden Haushalt und jede Gemeinschaft; 
  • Gewährleistung der Sicherheit von Gesundheitsdaten, um Vertrauen in digitale Gesundheitstools und entsprechende Interventionen aufzubauen und aufrechtzuerhalten; 
  • Interoperabilität digitaler Gesundheitstools, einschließlich elektronischer Patientenakten, sowohl in wie auch zwischen den Ländern.
„Die Europäische Region kann – und sollte – eine Führungsrolle im Bereich der digitalen Gesundheit einnehmen“, schloss Dr. Kluge. „Unser Bericht zeigt, dass die Region von einer starken Position aus startet, auch wenn das Gesundheitswesen noch weit hinter anderen Sektoren zurückliegt. In vielen Ländern wurden Programme zur Förderung der digitalen Gesundheit bisher auf Ad-hoc-Basis entwickelt, und das muss sich ändern. Um das Potenzial der digitalen Gesundheit voll auszuschöpfen, muss sie als strategische langfristige Investition angesehen werden, statt als Ergänzung oder gar als Luxus Einzelner. Dies erfordert politischen Willen auf der höchsten Ebene von Politik und Gesundheitswesen, um optimale Investitionen in die digitale Gesundheitsinfrastruktur der Zukunft lieber heute als morgen zu gewährleisten. Uns stehen aufregende, lebensverändernde Möglichkeiten bevor, untermauert von den Grundsätzen der Chancengleichheit und Gesundheit für alle.“