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Medizinische Notfall-Hilfsgüter dorthin bringen, wo sie am dringendsten gebraucht werden: Interview mit Olexander Babanin über die Logistik der Unterstützungsleistungen der WHO für die Ukraine

9 May 2022
Pressemitteilung
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Olexander Babanin ist Beauftragter für Logistik und operative Tätigkeiten bei der WHO und verantwortlich für die Organisation von Transporten mit grundlegenden medizinischen Hilfsgütern und entsprechender Ausrüstung aus Lagern an Orte in aller Welt. In diesem Interview erläutert Olexander, wie die WHO entscheidet, welche Hilfsgüter gebraucht werden, wie diese verteilt werden und wie sie verwendet werden können, insbesondere vor dem Hintergrund des Konflikts in der Ukraine. 

Warum braucht die Ukraine medizinische Notfall-Hilfsgüter? 

Durch den Krieg in der Ukraine wurden nicht nur zahlreiche Gesundheitseinrichtungen schwer beschädigt oder zerstört, sondern es wurden auch Lieferketten für medizinische Versorgungsgüter in betroffene Gebiete unterbrochen. Die Inlandsproduktion von Versorgungsgütern wurde durch Bombenangriffe beschnitten. Hilfsgüter werden gebraucht, nicht nur um Verletzte zu behandeln, sondern auch um die vielen im Land eingeschlossenen Menschen zu versorgen, die keinen Zugang zu Arzneimitteln haben, einschließlich jener mit chronischen Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes. 

Woher stammen die medizinischen Notfall-Hilfsgüter der WHO? 

Die meisten Hilfsgüter stammen aus dem zentralen Logistikzentrum der WHO in der International Humanitarian City in Dubai. Das Zentrum wurde 2016 eingerichtet, um die globale Bereitschaftsplanung für und Reaktion auf Notlagen zu unterstützen, und ermöglicht die Lagerung wichtiger medizinischer Hilfsgüter und entsprechender Ausrüstung sowie deren raschen Versand in Reaktion auf gesundheitliche Notlagen überall auf der Welt. Während der COVID-19-Pandemie wuchs das Zentrum rapide, um den Versand von 85% der durch die WHO bereitgestellten medizinischen Verbrauchsgüter zu steuern. Darüber hinaus erhält die WHO einzelne Lieferungen bestimmter Hilfsgüter für die Ukraine von Verkäufern aus aller Welt. Diese treffen in Warschau (Polen) über den Luft- und Straßenverkehr ein und werden dann über die Grenze in die Ukraine gefahren. 

Welche Hilfsgüter werden konkret in die Ukraine versandt? 

Die WHO arbeitet mit Partnerorganisationen zusammen, um hunderte von Tonnen lebensrettender Ausrüstung und Arzneimittel in die Ukraine zu liefern. Zu den von der WHO für Notlagen bereitgestellten Hilfsgütern zählen standardmäßige Verbandskästen, Sauerstoff und Sauerstoffgeneratoren, Transfusions-Kits, Stromgeneratoren, Produkte der Kühlkette (z. B. Kühlschränke), Defibrillatoren (für Herzinfarkte), Monitore, Beatmungsgeräte, Krankenwagen sowie persönliche Schutzausrüstung, einschließlich Chemikalienschutzanzügen. 

Ferner stellt die WHO für die Ukraine hunderte von traumatologischen und notfallmedizinischen Chirurgie-Kits (TESK), die für Operationen an bis zu 50 Patienten genutzt werden können, sowie interinstitutionelle medizinische Notfall-Kits (IEHK) zur Verfügung. 

Warum sind TESK so wichtig und woraus bestehen sie? 

Trauma-Kits helfen örtlichen Chirurgen, Klinikärzten und Pflegekräften, lebens- und gliedmaßenrettende Eingriffe vorzunehmen. Sie werden besonders in Konfliktsituationen gebraucht, wenn Versorgungsqualität und die rasche Versorgung von Wunden entscheidend sind, um die Wahrscheinlichkeit von Todesfällen und lebenslangen Behinderungen erheblich zu senken. In Kriegsgebieten können die Umfelder, in denen diese Behandlungen vorgenommen werden, sowie die Komplexität der zu behandelnden Wunden eine große Herausforderung darstellen, doch die Vielseitigkeit der Trauma-Kits bedeutet, dass sie selbst unter den widrigsten Umständen genutzt werden können. 

Diese Kits enthalten daher: 

  • Arzneimittel und Medikamente, darunter Morphin, Antibiotika und Mittel zur Behandlung von Tetanus;
  • Desinfektionsmittel und Handschuhe;
  • Narkosemittel; 
  • Verbandsmittel, Material zur Erstellung von Gipsverbänden und Schienen; 
  • chirurgische Instrumente für Allgemein- und Fachärzte zur Durchführung einer Vielzahl von Operationen, darunter Knochenchirurgie, Hauttransplantationen und Kaiserschnitte. 

Wie unterscheiden sich die IEHK davon? 

Die IEHK enthalten unentbehrliche Arzneimittel und medizinische Geräte, um rund 3 Monate lang unmittelbare medizinische Lücken für bis zu 10 000 Menschen zu schließen, etwa zur Behandlung von Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen und Diabetes. 

Sie enthalten: 

  • Arzneimittel und Medikamente, darunter Antibiotika, Augensalbe, Vitamine, Schmerzmittel, Insulin und Arzneimittel zur Behandlung von allergischen Reaktionen; 
  • medizinische Geräte und Ausrüstung wie etwa Katheter, Pinzetten, Stethoskope, Thermometer und Blutdruckmessgeräte;
  • allgemeine Hilfsgüter, darunter Schürzen, Verbände, Kanülen, Tourniquets und Spritzen. 

Wie kommen diese Kits und andere Hilfsgüter dorthin, wo sie gebraucht werden?

Das für die operative Versorgung und Logistik (OSL) zuständige Team bei WHO/Europa organisiert zusammen mit dem entsprechenden Team des Hauptbüros Konvois mit den benötigten Hilfsgütern aus dem WHO-Lager in Dubai sowie aus anderen Verteilungszentren über Polen in die Ukraine.

Das Länderbüro der WHO in der Ukraine empfängt und lagert die Hilfsgüter nach ihrer Ankunft und organisiert die Verteilung nach einem mit dem Gesundheitsministerium vereinbarten Plan.

Wie wird der Bedarf im Land beurteilt und wer erhält die Hilfslieferungen der WHO? 

Das ukrainische Gesundheitsministerium versorgt das Länderbüro kontinuierlich mit den aktuellsten Informationen zu dem sich verändernden Bedarf und vermittelt bei der Verteilung der Hilfsgüter an Gesundheitsämter auf Ebene der Oblasten, sobald die Hilfsgüter eingetroffen sind. 

Daraufhin werden die Hilfsgüter in jede Ecke des Landes verteilt, um sowohl akut als auch chronisch kranke Menschen zu erreichen, Menschen, die infolge des anhaltenden Krieges verletzt wurden, sowie jene, die aufgrund einer Reihe chronischer Erkrankungen versorgt werden müssen.