WHO
© Credits

„Der psychischen Gesundheit die ihr gebührende Aufmerksamkeit widmen“ – Polen nutzt Tool der WHO, um stärker auf Bedürfnisse im Bereich der psychischen Gesundheit einzugehen

10 October 2023
Pressemitteilung
Reading time:
Vor Kurzem hat Polen das Aktionsprogramm der WHO zur Schließung von Lücken in der psychischen Gesundheitsversorgung (mhGAP), ein evidenzbasierter Ansatz zur Ausweitung der Kapazitäten und Leistungen im Bereich der psychischen Gesundheitsversorgung, im Rahmen seines nationalen Gesundheitsprogramms eingeführt und so einen bedeutenden Schritt unternommen, um stärker auf die unerfüllten Bedürfnisse im Bereich der psychischen Gesundheit der Bevölkerung einzugehen.

Polen hat, wie viele andere Länder in der Europäischen Region der WHO auch, im Hinblick auf die Gewährleistung des Zugangs zu Angeboten der psychischen Gesundheitsversorgung mit erheblichen Herausforderungen zu kämpfen. 60 % der Patienten, die eigenen Angaben zufolge psychologische Unterstützung bräuchten, geben zu, dass sie aufgrund der damit einhergehenden Stigmata keine Hilfe in Anspruch nehmen. Je 100 000 Einwohner gibt es nur 9 Psychiater im Land, und die Wartelisten sind lang. Nur 3,7 % des polnischen Gesundheitsetats werden für die psychische Gesundheitsversorgung ausgegeben – ein geringer Anteil verglichen mit einigen anderen Ländern der Europäischen Region. 

Dringender Bedarf für eine bessere psychische Gesundheitsversorgung

Heutzutage weisen polnische Kinder eine der niedrigsten Raten beim seelischen Wohlbefinden und eine der höchsten Raten bei Selbstmordversuchen in Europa auf. Im Jahr 2022 untersuchte die Polizei insgesamt 2031 Selbstmordversuche in der Altersgruppe der unter-18-Jährigen – ein Anstieg um 148 % seit 2020. 

In Anerkennung der Notwendigkeit dringender Veränderungen unternimmt die polnische Regierung dringende Maßnahmen zur Reformierung des Systems zum Schutz der psychischen Gesundheit, auch für Kinder und Jugendliche. Seit 2018 hat die Regierung die Ausgaben für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auf über 1 Mrd. PLN (200 Mio. EUR) vervierfacht, um auf den herrschenden Bedarf einzugehen. 

„In der Vergangenheit wurde der psychischen Gesundheit nicht die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt wie der körperlichen Gesundheit, und zwar nicht nur in Polen, sondern in der gesamten Europäischen Region der WHO. Wir erkennen langsam den Preis dieser Unaufmerksamkeit für unsere Gesellschaft, die Wirtschaft, Gemeinschaften und Familien“, erklärte Dr. Nino Berdzuli, Repräsentantin der WHO in Polen und Sondergesandte der WHO für die Reaktion auf die Notlage in der Ukraine in den Aufnahmeländern von Flüchtlingen. 

„Doch die polnischen Gesundheitsbehörden ergreifen nun Maßnahmen – ihre aktuellen und künftigen Pläne zeigen, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden“, fügte Dr. Berdzuli hinzu.

Die psychische Gesundheit wurde in der Region wie auch weltweit lange Zeit als weniger vorrangig gegenüber der körperlichen Gesundheit betrachtet. Stigmatisierung und Stereotypen gegenüber psychischen Bedürfnissen verbunden mit einer unzureichenden Mittelausstattung für entsprechende Leistungen sowie langen Wartelisten für eine Behandlung haben in vielen Ländern erhebliche Barrieren für den Zugang zur psychischen Versorgung geschaffen.

Verbesserung des Zugangs im Rahmen der primären Gesundheitsversorgung

In Polen und der gesamten Europäischen Region stellt die primäre Gesundheitsversorgung den Eintrittspunkt in das Gesundheitssystem für Patienten mit gesundheitlichen Problemen dar. 

Das ist auch der Grund, warum die Integration der psychischen Gesundheitsversorgung in die primäre Gesundheitsversorgung eine der effektivsten Maßnahmen ist, um unerfüllte Bedürfnisse im Bereich der psychischen Gesundheit zu verringern – durch eine frühzeitige Ermittlung von gefährdeten Personen, die Durchführung einer raschen Bewertung und die Ermöglichung einer Überweisung an entsprechende Leistungsanbieter.  

„Allgemeinärzte müssen in Polen im Hinblick auf die gemeindenahe psychische Gesundheitsversorgung zu an vorderster Linie tätigen Akteuren werden und so dazu beitragen, den Druck auf die überlastete psychiatrische Versorgung zu verringern“, erklärte Dr. Berdzuli. 
 
Das mhGAP-Programm wird polnische Allgemeinärzte mit dem nötigen Wissen und den nötigen Fähigkeiten ausstatten, um Symptome weit verbreiteter psychischer Erkrankungen zu erkennen, darunter etwa Depressionen, stressbedingte Erkrankungen, Suchtmittelabhängigkeit und suizidale Gedanken. Fachärztliche Schulungen sollen ihnen das nötige Selbstvertrauen geben, um diese Erkrankungen zu behandeln oder Patienten ggf. an Psychologen und Psychiater in gemeindenahen psychiatrischen Gesundheitszentren zu überweisen. 
 
„Dieses Programm wird die psychische Gesundheitsversorgung näher an die Menschen heranbringen. Es geht darum, der psychischen Gesundheit die ihr gebührende Aufmerksamkeit zu widmen“, fügte Dr. Berdzuli hinzu. 

Polen ist das jüngste Land in der Region, das das mhGAP eingeführt hat, und schließt sich damit seinem Nachbarland Ukraine an, die ebenfalls damit begonnen hat, das Instrumentarium auf der nationalen Ebene umzusetzen. Mehr als 100 Länder weltweit setzen bereits das mhGAP um.
 
„Die Vorbereitungen für die Einführung des Programms begannen bereits vor über einem Jahr, und nun freuen wir uns über den Start des mhGAP-Programms in Polen. Das Gesundheitsministerium ist hocherfreut, dass wir eine erste Pilotgruppe haben, und die im Rahmen des Programms vermittelten Fähigkeiten und Kenntnisse werden für das ganze Land von Nutzen sein“, erklärte Joanna Głażewska, Stellvertretende Leiterin der Behörde für öffentliche Gesundheit. 
 
Zu Beginn wird das Programm in den Regionen Poldaskie und Mazovietskie erprobt, doch es gibt bereits Pläne, das Programm danach landesweit einzuführen. 

Zugang wird auch für Flüchtlinge bereitgestellt

Auch ukrainische Flüchtlinge sollen durch das Programm unterstützt werden. Eine vom polnischen Statistischen Hauptamt und dem WHO-Länderbüro in Polen durchgeführte Umfrage ergab, dass mindestens jeder zehnte ukrainische Flüchtling eigenen Angaben zufolge mit erheblichen psychischen Problemen zu kämpfen hat, und von denjenigen, die derartige Probleme angaben, würde mehr als die Hälfte von einer Behandlung profitieren. 
 
„Neben der polnischen Bevölkerung wird die Unterstützung im Bereich der psychischen Gesundheit auch auf die große Anzahl an ukrainischen Flüchtlingen im Land ausgeweitet. Die psychische Gesundheit und das seelische Wohlbefinden von Flüchtlingen ist ein dringendes Anliegen, und mit der großzügigen finanziellen Unterstützung der Regierung der Vereinigten Staaten haben die WHO und das polnische Gesundheitsministerium proaktive Schritte unternommen, um das Problem anzugehen,“ erläutert Dr. Berdzuli.

Die psychische Gesundheit ist eine der Flaggschiff-Säulen des Europäischen Arbeitsprogramms 2020–2025 (EPW), der Blaupause, an der sich ein Großteil der Arbeit von WHO/Europa orientiert. Im Rahmen des EPW hat WHO/Europa das Europäische Bündnis für psychische Gesundheit geschaffen, in dem eine Vielzahl maßgeblicher Akteure zusammenkommt, um sich bei Regierungen und Politikverantwortlichen für Investitionen in die psychische Gesundheit einzusetzen.