Thematische Schwerpunkte eines bahnbrechenden Forums vom 5. bis 7. Dezember 2023 in Dänemark waren die zentrale Bedeutung von Risikokommunikation, Bürgerbeteiligung und Infodemie-Management (RCCE-IM) während Notlagen und die Notwendigkeit eines Kapazitätsaufbaus für die Bewältigung künftiger Krisen.
Auf dem Forum wurden zwei neue Tools zur Erweiterung des Bereichs RCCE-IM präsentiert: erstens ein Tool zur Kapazitätskartierung, das den maßgeblichen Interessengruppen eine bessere Selbstbewertung in Bezug auf die eigene Handlungsfähigkeit während Notlagen ermöglicht; und zweitens ein RCCE-IM-Planerstellungs-Tool, das den Anwendern in insgesamt zehn Modulen die Fähigkeit zur Aufstellung von Notfallplänen vermittelt.
Bei der Eröffnung der Veranstaltung unterstrich Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa, wie wichtig es bei verschiedenen Gesundheitskrisen in jüngster Zeit gewesen sei, Risikokommunikation, Bürgerbeteiligung und Infodemie-Management in den Mittelpunkt der Gegenmaßnahmen zu stellen.
Er hob hervor, welche Veränderungen die Europäische Region seit dem Übergang von einer Zeit mit wenigen größeren Notlagen zu einer Vielzahl gleichzeitiger Ereignisse – COVID-19, Krieg in der Ukraine, Erdbeben in der Türkei und Syrien – erlebt habe, und unterstrich die Notwendigkeit von Resilienz in dieser Zeit der „Dauerkrise“. Er sprach auch über sein persönliches Engagement für soziale Gerechtigkeit und die vorrangige Berücksichtigung gefährdeter Bevölkerungsgruppen während gesundheitlicher Notlagen.
Dr. Kluges Ansprache bildete den Auftakt zu einem Forum, dessen Zielsetzung darin bestand, den Erfahrungsschatz der Anwesenden zu nutzen, um besser für die Zukunft gerüstet zu sein, wobei der Aufbau von Kapazitäten im Bereich RCCE-IM im Mittelpunkt der Vorsorge stand.
Brückenschlag von der Bereitstellung von Gesundheitsleistungen zu ihrer Inanspruchnahme
An dem Forum nahmen staatliche Gesundheitsexperten sowie Vertreter von Gebern, Partnerorganisationen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und wissenschaftlichen Institutionen aus der gesamten Europäischen Region teil, und es wurden Erkenntnisse aufgezeigt, die RCCE-IM als zentrale und evidenzbasierte Maßnahme des öffentlichen Gesundheitswesens über den gesamten Notfallzyklus hinweg verorten: von der Prävention bis zur Erholung.
In jüngster Zeit haben verschiedene Notlagen deutlich gemacht, dass es zu ihrer Bewältigung entscheidend auf das Verhalten der Menschen ankommt. Deshalb reicht die Bereitstellung von Gesundheitsleistungen und Interventionen während Notlagen nicht aus. Vielmehr müssen diese Angebote und Interventionen auch in Anspruch genommen werden. Oder um eine Analogie aus der Medizin zu benutzen: es kommt nicht auf die Impfstoffe an, sondern auf die Impfung.
„Mit RCCE-IM wird die Brücke von der Bereitstellung von Gesundheitsleistungen zu ihrer Inanspruchnahme geschlagen. Dies geschieht, indem Vertrauen aufgebaut wird und Sie als Mitglied der Gemeinschaft in die Lage versetzt werden, fundierte Entscheidungen zu treffen, um Ihre Gesundheit und die der Menschen in Ihrer Umgebung in Krisensituationen zu schützen“, erklärte Cristiana Salvi, Regionalbeauftragte für Risikokommunikation, Bürgerbeteiligung und Infodemie-Management.
Durch wirksame RCCE-IM erhalten betroffene und gefährdete Gruppen Gesundheitsinformationen und Gesundheitsberatung, die auf ihre Wahrnehmungen und Bedürfnisse zugeschnitten sind, und werden in die Mitgestaltung und Bereitstellung von Lösungen für ihre gesundheitlichen Prioritäten einbezogen. Darüber hinaus kann RCCE-IM dazu beitragen, die Verbreitung und die Folgen von Falschinformationen, die Einzelpersonen und Gemeinschaften schaden könnten, einzudämmen.
Bahnbrechende Instrumente für den Kapazitätsaufbau
Zu den Zielen des Forums gehörte auch die Präsentation zweier bahnbrechender Instrumente für den Kapazitätsaufbau.
In der Überzeugung, dass eine wirksame RCCE-IM auf einer starken Vorsorge beruht, hat WHO/Europa bereits vor der Pandemie mit dem Aufbau von Kapazitäten begonnen. Doch das schiere Ausmaß der COVID-19-Krise – mit ihren tiefgreifenden Auswirkungen auf die Gesundheitssysteme fast aller Länder der Europäischen Region – hat verdeutlicht, dass die Kapazitäten und Fähigkeiten im Bereich RCCE-IM weiter ausgebaut werden müssen.
Dr. Gundo Weiler, Leiter der Abteilung Länderunterstützung und Partnerschaften und kommissarischer Direktor für gesundheitliche Notlagen in der Europäischen Region, der neben Dr. Kluge ebenfalls sprach, erklärte, die neuen Tools zeugten von der Entschlossenheit von WHO/Europa, aus einer nie zuvor dagewesenen Erfahrung zu lernen und Herausforderungen in Möglichkeiten für Wachstum und Lernen umzuwandeln.
Das erste Tool (RCCE-IM Capability Mapping Tool) ist ein umfassender Rahmen, mit dessen Hilfe Fachkräfte, Organisationen und Länder die eigenen Fähigkeiten, Kenntnisse und Einstellungen bewerten können.
Das zweite Tool (RCCE-IM Plan Creator) dient der Planerstellung im Bereich RCCE-IM und ist eine innovative Online-Plattform mit insgesamt zehn Modulen, die die Nutzer zur Schaffung strategischer und taktischer Notfallpläne befähigt.
Die Tools wurden in Zusammenarbeit mit einem Team der Universität Huddersfield im Vereinigten Königreich unter der Leitung von Anne Gregory, Professorin i. R. für Unternehmenskommunikation, entwickelt. Das komplexe Projekt dauerte 14 Monate, und Prof. Gregory ist überzeugt, dass die neuen Tools in Zukunft eine wesentliche Rolle im Bereich RCCE-IM spielen werden.
„Das ist eine äußerst interessante und auch lohnende Arbeit. Eine erfolgreiche Risikokommunikation kann Menschenleben retten. Als die WHO mich also bat, bei der Entwicklung mitzuwirken, sagte ich zu“, erzählt die Professorin.
Sie fügt hinzu: „Die Arbeit im Bereich RCCE-IM ist wirklich komplex und anspruchsvoll. Es war also eine echte Herausforderung, ein detailliertes Verständnis dafür zu erlangen und es in einen Fähigkeitsrahmen einzuordnen. Dabei war das Fachwissen aus dem Umfeld von WHO/Europa für uns äußerst wichtig.“
Der auf dem Forum anwesende Delegierte Kjartan Njálsson, Assistent der Leiterin der Gesundheitsdirektion in Island, ist der Ansicht, die neuen Tools lieferten innovative Instrumente für den Entwurf neuer Notfallpläne und die Anpassung vorhandener Pläne.
„Ich komme aus einem Land, in dem Naturereignisse und damit verbundene Schwierigkeiten extrem häufig vorkommen. Wir sind also ein Volk von Planern, und dabei sind alle verfügbaren Hilfsmittel von großem Nutzen“, sagt Njálsson.
Er fügt hinzu: „Ein Forum wie dieses öffnet einem die Augen. Wir leben in komplexen Zeiten, und unsere Gesellschaften werden immer komplexer. Wir müssen mit unseren Kollegen im In- und Ausland zusammenarbeiten, um neue Dinge zu lernen und von ihren Erfahrungen zu profitieren. Wir sind weit über den Punkt hinaus, an dem wir einer Bevölkerung nach einer Notlage Befehle erteilen können. Wir müssen die Gesellschaft als Ganzes betrachten. Wir müssen inklusiv sein und einen aktiven Dialog mit der Bevölkerung führen.“
Mehr Investitionen in die Zukunft von RCCE-IM erforderlich
Viele Teilnehmer der Veranstaltung sprachen von der dringenden Notwendigkeit, mehr in Forschung im Bereich RCCE-IM zu investieren, und von der Notwendigkeit, RCCE-IM in den Lehrplänen der Universitäten zu verankern, um die nächste Generation von Experten auszubilden.
„Es ist sehr wichtig, dass wir jetzt versuchen, dies zunehmend in den Gesundheitsbehörden und Gesundheitsministerien zu institutionalisieren, damit die Politik erkennt, dass sie hier investieren muss. Es ist ganz klar – und die Erfahrungem aus der Pandemie haben uns gezeigt –, dass sich das auszahlt, und wir müssen mehr und mehr davon auf der Grundlage gesicherter Tatsachen tun“, sagt John Kinsman, Experte für sozialen Wandel und Verhaltensänderungen beim Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC).
Als weiteren wesentlichen Schritt stellte WHO/Europa auf dem Forum auch eine praxisorientierte Gemeinschaft für den Bereich RCCE-IM vor. Diese Plattform soll das kollegiale Lernen und die Unterstützung unter den Ländern der Europäischen Region fördern und so für ein einheitlicheres und widerstandsfähigeres Konzept für die Bewältigung gesundheitlicher Notlagen sorgen.
Dr. Weilers Fazit lautet:„Wenn wir auf den Horizont blicken, sollten wir dies nicht mit Sorge tun, sondern mit der Zuversicht, dass wir vorbereitet sind. Lassen Sie uns in die Kapazitäten im Bereich RCCE-IM investieren, die Partnerschaften pflegen, die uns stärken, und mit der unerschütterlichen Entschlossenheit voranschreiten, die Gesundheit aller Gruppen in unseren Gesellschaften zu schützen und aktiv zu fördern.“