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Dr. Fadi Merouehs Team konnte Hepatitis C in der Haftanstalt wirksam verhindern.
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Unabhängigkeit der Ärzte ist der Schlüssel: die Bemühungen um Eliminierung von Hepatitis C in einer Haftanstalt in Montpellier

18 July 2023
Pressemitteilung
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Die Gesundheit in Haftanstalten kann erheblich verbessert werden, wenn die Angehörigen der Gesundheitsberufe zu unabhängigen Entscheidungen befugt sind. Diese zentrale Botschaft unterstreicht WHO/Europa am Internationalen Nelson-Mandela-Tag, der weltweit zu Ehren des verstorbenen Nelson Mandela begangen wird, der 27 Jahre lang im Gefängnis saß, bevor er schließlich nach dem Ende der Apartheid die Geschicke Südafrikas leitete. 

Mit dem Mandela-Tag wird der Gedanke gefeiert, dass jeder Einzelne auch unter schwierigsten Umständen und Rahmenbedingungen die Kraft hat, positive Veränderungen und soziale Gerechtigkeit herbeizuführen. 

Aus diesem Anlass berichtet WHO/Europa über die Erfahrungen von Dr. Fadi Meroueh, dem Leiter der Klinik in der Haftanstalt Villeneuve-lès-Maguelone außerhalb von Montpellier (Frankreich). Dank der Bemühungen von Dr. Meroueh und seinem Team ist es in dieser Haftanstalt gelungen, Infektionen wie Hepatitis C und HIV innerhalb der Gefängnismauern wirksam zu verhindern und zu bekämpfen.

Überwindung der Angst bringt Sieg über die Infektion

„Ich glaube, das Hauptproblem für die Gesundheit in Haftanstalten ist die Angst“, stellt Dr. Meroueh fest. „In vielen Einrichtungen tun sich die Angehörigen der Gesundheitsberufe sehr schwer mit unabhängigen Entscheidungen ohne vorherige Rücksprache mit den Strafvollzugsbehörden. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Meinung der Ärzte in jedem Fall respektiert werden sollte. Das führt zu mehr Gesundheit bei den Häftlingen und kommt auch der Anstaltsleitung selbst zugute“. 

Jüngsten Schätzungen zufolge sind in der Europäischen Region der WHO, die 53 Länder in Europa und Zentralasien umfasst, rund 14 Mio. Menschen mit Hepatitis C infiziert. Da die Krankheit häufig asymptomatisch verläuft und unbehandelt bleibt, gehört chronische Hepatitis zu den Hauptursachen für Leberzirrhose und primären Leberkrebs. 

In Haftanstalten ist das Risiko, an Hepatitis zu erkranken, überdurchschnittlich hoch. Injizierende Drogenkonsumenten sind besonders anfällig für Hepatitis, und unter diesen Umständen kann die Krankheit oft eine Koinfektion mit HIV nach sich ziehen.
Das von Dr. Meroueh in der Haftanstalt in Montpellier eingerichtete Gesundheitssystem hat dazu beigetragen, diese Kette der Infektionsausbreitung zu durchbrechen und die Hepatitis C in der Einrichtung zu eradizieren. 

Ein gesundheitsförderliches Strafvollzugssystem

Die Insassen der Haftanstalt in Montpellier werden bei ihrer Ankunft einer umfassenden ärztlichen Untersuchung unterzogen, die auch Tests auf Hepatitis C umfasst. Wie von der WHO empfohlen, bietet das Team von Dr. Meroueh zwei Tests für Hepatitis C gleichzeitig an – sowohl Antigen- als auch RNA-Tests. Dies wird als integrierter Test bezeichnet. 

Normalerweise werden RNA-Tests als diagnostischer Ansatz der zweiten Ebene empfohlen, aber Dr. Meroueh ist sich der Schwachstellen der Gesundheitsversorgung im Strafvollzug bewusst: Zeitmangel und die große Anzahl von Menschen, die ärztliche Hilfe benötigen. 

„Wir können nicht warten, bis die Ergebnisse der Tests der ersten Stufe vorliegen, denn wir wollen die infizierten Personen so schnell wie möglich diagnostizieren“, erklärt Dr. Meroueh. „Wir brauchen beide Testergebnisse gleichzeitig, um schneller entscheiden zu können. Außerdem ist es bequemer für die Patienten, die vielleicht nicht mehrmals zum Arzt gehen wollen.“

Darüber hinaus bietet der Gesundheitsdienst der Haftanstalt in Montpellier Trockenbluttests an, mit denen sich Hepatitis C und HIV gleichzeitig diagnostizieren lassen. Dieser umfassende Testansatz ist eine weitere von der WHO empfohlene bewährte Methode.

Während in Frankreich traditionell Gastroenterologen für die Verschreibung von Hepatitis-C-Therapien zuständig waren, können inzwischen direkt wirkende antivirale Medikamente von Allgemeinmedizinern verschrieben werden, die täglich in Haftanstalten arbeiten und über die Situation innerhalb der Gefängnismauern gut informiert sind. Die Einführung der vereinfachten Regeln für den Umgang mit Hepatitis C, die 2019 genehmigt wurde, war eine wesentliche Veränderung, die viele der früheren Hindernisse beseitigte. 

Nach dem neuen System können Häftlinge schon zwei bis drei Tage nach Vorliegen der Testergebnisse eine kostengünstige Behandlung in Anspruch nehmen. Darüber hinaus haben Personen, die sich einer Hepatitis-C-Behandlung unterziehen, die Möglichkeit, bei Bedarf einen Therapeuten und einen Psychologen aufzusuchen, um sicherzustellen, dass die durch die Belastung infolge ihrer Diagnose und ihrer Gesamtsituation ausgelösten psychischen Probleme angegangen werden.

Die Übertragungsketten durchbrechen 

Ein weiterer Bestandteil des Schutzes vor Hepatitis C und HIV in der Haftanstalt Montpellier ist das Spritzenaustauschprogramm. Dabei geben Allgemeinmediziner Häftlingen neue Spritzen, ohne Fragen zu stellen, um dazu beizutragen, dass einer der wichtigsten Infektionswege – das Spritzen von Drogen – eingedämmt wird.

„Ich kenne einen Mann, der fünf Monate in unserer Haftanstalt verbracht hat, und während dieser Zeit wurde er negativ auf Hepatitis C getestet. Dann kam er frei, aber nach etwa einem Monat trafen wir uns wieder im Gefängnis, und diesmal wurde er positiv getestet. Das lag daran, dass er sich im Haus eines Freundes mit einer gebrauchten Spritze Drogen gespritzt hatte“, erzählt Dr. Meroueh.

Das Spritzentauschprogramm wird durch die Bereitstellung von Kondomen und durch regelmäßige Kontrolluntersuchungen ergänzt, bei denen auch die Möglichkeit einer Untersuchung auf Infektionskrankheiten besteht.

Regeln für eine bessere Gesundheit gestalten

Viele der wirksamen Praktiken, die in der Justizvollzugsanstalt von Montpellier angewandt werden, sind anderswo im französischen Strafvollzug noch nicht etabliert. Doch Dr. Meroueh glaubt, dass sich das ändern lässt. Er ist zuversichtlich, dass sich die Gesundheitszentren der Haftanstalten in Orte verwandeln können, die sich mit den tatsächlichen Problemen der Insassen befassen und sich mit der vollen Unterstützung der Strafvollzugsbehörden an die dringendsten Herausforderungen anpassen.

„In Frankreich haben alle Personen, die in ein Gefängnis kommen, uneingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung, auch wenn sie keine Ausweispapiere haben. Für manche Menschen sind Haftanstalten der erste Ort, an dem sie zum Arzt gehen können“, sagt Dr. Meroueh. „Ich bin fest überzeugt, dass Haftanstalten als Chance gesehen werden sollten, die Gesundheit vieler gefährdeter Menschen zu schützen, und dass dies der Gesellschaft als Ganzes zugute kommen würde.“

Für seinen Einsatz zum Schutz der Gesundheit von Menschen in Haftanstalten wurde Dr. Meroueh im Juni 2023 mit dem Johannes-Feest-Preis ausgezeichnet, der nach dem bekannten deutschen Professor für Strafrecht und Kriminologie benannt ist, der sich seit Langem für die Rechte von Häftlingen,  insbesondere ihr Recht auf Gesundheit, einsetzt.
„Am Mandela-Tag ist es besonders angebracht, dass wir die Leistungen von Dr. Fadi Meroueh hervorheben“, erklärt Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa, der selbst über umfangreiche Erfahrung mit der Arbeit in Haftanstalten mit besonderem Schwerpunkt auf der Tuberkulosebekämpfung verfügt. 

„Im Geiste des verstorbenen großen Nelson Mandela, der wegen seines Engagements gegen Apartheid fast drei Jahrzehnte in Haft war, erinnern wir uns an seine immer noch gültigen Worte: „Mut ist nicht die Abwesenheit von Furcht, sondern es geht darum, andere dazu zu inspirieren, sie zu überwinden.“

Dr. Kluge fügt hinzu: „Dr. Meroueh dient durch seine Arbeit für eine unserer am stärksten unterversorgten Bevölkerungsgruppen uns allen als Beispiel für jemanden, der dafür sorgt, dass die Vision und der Auftrag der WHO – Gesundheit für alle – in die Tat umgesetzt werden. Der Mandela-Tag und die Beiträge von Dr. Meroueh sind eine Erinnerung an die gesamte Gesundheitspolitik, sich auf die Werte der Menschlichkeit und der sozialen Gerechtigkeit zu stützen – Werte, die in allen Umfeldern gelten, auch im Strafvollzug.“