„Damit kann ich mich entspannen und von hier fliehen, ohne mich physisch zu entfernen“, sagt Yoran, während er ein Virtual-Reality-Headset (VR) aufsetzt, das ihm sein medizinisches Team zur Verfügung stellt. Yoran ist einer von jährlich über 100 000 Patienten des Universitätsklinikums Radboud (Radboudumc) im niederländischen Nijmegen, ein Jugendlicher, der das tut, was die meisten anderen Jugendlichen tun. Nur dass er bei der Verdauung von Nahrung medizinische Hilfe braucht.
Bei Langzeitaufenthalten im Krankenhaus bietet sein VR-Headset eine Auswahl an Aktivitäten, die von Spielen mit körperlicher Bewegung bis hin zu Achtsamkeits- und Meditationsübungen reichen. „Mein Lieblingsspiel ist das, bei dem man einen Ball in einen von drei Bechern legt, die Becher mischt und dann raten muss, wo der Ball ist“, sagt er, immer noch in das Spiel vertieft.
Patienten wie Yoran profitieren am Radboudumc seit 2022 von hochmodernen digitalen Gesundheitslösungen. Damals investierte das Krankenhaus in eine groß angelegte Modernisierung durch Digitalisierung. Diese Technologien verändern die Gesundheitsversorgung, indem sie den Patienten mehr Komfort bieten und dem medizinischen Personal eine individuellere Versorgung ermöglichen.
Ein neuer Ansatz für Komfort und Genesung
Patienten, insbesondere solche, die einen längeren Krankenhausaufenthalt vor sich haben, leiden häufig unter Stress, Angst und Unbehagen. Bisher waren Sedierung und Medikamente die wichtigsten Mittel zur Bewältigung solcher Probleme. Doch nun verändern die jüngsten Fortschritte bei digitalen Technologien das Erlebnis der Patienten und bieten eine Alternative, die nicht nur Stress und Schmerzen lindert, sondern auch ein Gefühl der Normalität vermittelt.
Neben VR setzt das Radboudumc auch digitale Tablets und Smartphones ein, mit denen die Patienten ihren Aufenthalt individuell gestalten können. So können Patienten mit einer einfachen Berührung des Bildschirms, und ohne das Bett zu verlassen, die Beleuchtung in ihrem Zimmer steuern, die Vorhänge verstellen und sogar andere Patienten oder Personal über ein digitales Türschild zu einem Gespräch einladen.
Ein bemerkenswerter Aspekt der VR-Technologie ist ihre doppelte Funktionalität: Sie bietet nicht nur Unterhaltung, sondern kann auch dem Gesundheits- und Pflegepersonal dabei helfen, mit den Patienten auf einer tieferen Ebene in Kontakt zu treten. Beispielsweise kann eine Pflegekraft in gegenseitigem Einvernehmen die Inhalte gleichzeitig über ein verbundenes Gerät einsehen. So kann sie sich auf Gespräche einlassen und den Patienten durch Spielskripte führen und damit eine Bindung schaffen, die über die üblichen Interaktionen zwischen Patient und Betreuer hinausgeht.
„Vor ein paar Jahren hatten wir eine Patientin auf der Traumastation, die einen sehr schweren Unfall erlitten hatte. Fast alle ihre Knochen waren gebrochen. Wir ermutigten sie, VR als Therapie auszuprobieren“, erinnert sich eine Krankenschwester am Radboudumc.
Sie wählte ein Skript über Schwimmen mit Delfinen. Obwohl sie dieses große Headset trug, konnte man die Emotionen in ihrem Gesicht sehen. Sie war zu Tränen gerührt. Danach erzählte sie mir, dass sie früher im Urlaub schnorcheln ging, aber aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste. Ihre schönste Erinnerung war das gemeinsame Schwimmen mit einer Delfinmutter und ihrem Baby. Und jetzt konnte sie diese schöne Erinnerung in der virtuellen Realität noch einmal erleben.“
Digitale Lösungen für die jüngsten Patienten
Das Radboudumc weiß das Fenster zur Außenwelt zu schätzen, das die digitale Technologie öffnen kann, und hat daher beschlossen, VR auch für Babys zugänglich zu machen, die noch zu klein sind, um Headsets zu tragen. Stattdessen können die kleinsten Patienten die Welt durch eine digitale Zimmerdecke erleben.
Als die Krankenschwester das Licht dimmt und bunte Schmetterlinge an der Decke erscheinen, schleicht sich ein Lächeln auf das Gesicht des fünf Monate alten Sef. Er ist ruhig und völlig fasziniert. Zwar kann keine Technologie ein echtes Outdoor-Erlebnis ersetzen, doch wenn das ganze Leben von Krankenhausmauern eingeschlossen ist, kann es die nächstbeste Lösung sein.
Eine andere Krankenschwester erzählt von einem Kind, das sein ganzes erstes Lebensjahr am Radboudumc verbrachte. Die digitale Decke half ihm, neue Welten zu erkunden und wichtige Sinneserfahrungen zu machen.
„Dieses Baby war noch nie außerhalb des Krankenhauses gewesen. Das war sein ganzes Leben“, sagt die Krankenschwester. „Aber der Anblick der digitalen Zimmerdecke machte es sehr glücklich. Wir freuen uns, wenn die Babys glücklich sind, aber noch wichtiger ist, dass sie sich wohlfühlen – denn das Krankenhaus kann eine sehr stressige Umgebung sein. Diese digitalen Lösungen können der ganzen Familie das Leben angenehmer machen.“
Blick nach vorn
Sanne van Alphen, Informationsbeauftragte des Pflegedienstes am Radboudumc, hofft, dass die Technologie den Krankenhausaufenthalt für die Patienten nicht nur verbessern, sondern letztlich auch verkürzen wird. „Vielleicht können unsere Patienten eines Tages dank digitaler Hilfsmittel früher nach Hause gehen und aus der Ferne betreut werden, zu Hause bei ihren Familien, wo sie hingehören. So wie sich die digitalen Gesundheitsangebote weiterentwickeln, werden Kinder und Erwachsene bald vielleicht nicht mehr so lange hier bleiben müssen. Ich glaube nicht, dass irgendjemand im Krankenhaus sein möchte, egal wie schön es ist.“
Sanne hofft auch auf eine nahtlosere Kommunikation und einen besseren Datenaustausch zwischen Gesundheitseinrichtungen. „Hausärzte sollten in der Lage sein, unserem oder einem anderen Krankenhaus Informationen zur Verfügung zu stellen, sodass wir die Patienten nicht bitten müssen, ihre gesamte Krankengeschichte zu rezitieren. Wir verbringen so viel Zeit damit, diese Informationen zusammenzutragen; dabei würden wir lieber mehr Zeit mit den Patienten verbringen. Ich hoffe, dass das durch digitale Hilfsmittel leichter wird.“
Was Sanne da beschreibt, nennt sich Interoperabilität. Es bedeutet, dass Gesundheitsinformationssysteme sich miteinander kurzschließen und über nationale und internationale Grenzen hinweg Informationen austauschen können. Um wirksam und kosteneffektiv zu werden, brauchen Gesundheitsinformationssysteme sichere, konsistente und gut strukturierte Daten.
Unterstützung durch WHO/Europa
Der von WHO/Europa veröffentlichte Bericht „Digitale Gesundheit in der Europäischen Region der WHO: der lange Weg zu Verpflichtung und grundlegender Umgestaltung“ kam zu dem Ergebnis, dass 43 Mitgliedstaaten eine Verbesserung des Austauschs von Gesundheitsinformationen und Interoperabilität als strategische Prioritäten ansehen.
2023 starteten WHO/Europa und die Europäische Kommission ein gemeinsames Projekt, um Gesundheitsinformationssysteme zu stärken und die Verwaltung von Gesundheitsdaten sowie die Interoperabilität in den 53 Ländern der Europäischen Region zu verbessern.
„Die digitalen Lösungen, die Patienten und Pflegekräften heute zur Verfügung stehen, hätten noch vor einem Jahrzehnt wie aus einem Science-Fiction-Film gewirkt. Das lässt uns gespannt und hoffnungsvoll auf zukünftige Innovationen warten“, erklärte David Novillo Ortiz, Regionalbeauftragter für Daten und digitale Gesundheit bei WHO/Europa.
„WHO/Europa steht bereit, um den digitalen Wandel zu lenken und dafür zu sorgen, dass alle Länder in unserer Region von sicheren und zugänglichen Technologien für die Gesundheit profitieren können.“
Der am Radboudumc angewandte innovative Ansatz der Gesundheitsversorgung orientiert sich vollständig an dem von WHO/Europa erstellten Aktionsplan zur Förderung der digitalen Gesundheit in der Europäischen Region, der sich für Lösungen einsetzt, die patientenorientiert und auf nationaler oder regionsweit Ebene skalierbar sind und so die öffentliche Gesundheit und die Gesundheitssysteme im digitalen Zeitalter gestalten.