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Mit vereinten Kräften beispiellose Bedürfnisse erfüllen: Wie Bulgarien auf die ukrainische Flüchtlingskrise reagiert

20 October 2022
Pressemitteilung
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Der Krieg in der Ukraine, vor dem Millionen von Menschen geflohen sind, hat die Nachbarländer vor beispiellose Herausforderungen gestellt. Seit Februar 2022 haben über eine halbe Million ukrainischer Flüchtlinge allein die Grenze nach Bulgarien überquert, von denen einige im Land geblieben sind, während andere nur auf der Durchreise waren. Um auf die vielfältigen Bedürfnisse der Flüchtlinge einzugehen und koordinierte Unterstützung zu leisten, hat sich das WHO-Länderbüro in Bulgarien mit der bulgarischen Zivilgesellschaft, der Regierung Bulgariens, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), der Internationalen Organisation für Migration (IOM), dem bulgarischen Roten Kreuz und anderen internationalen nichtstaatlichen Organisationen zusammengetan. 

Dr Skender Syla, Repräsentant der WHO in Bulgarien, versteht besser als die meisten, was ukrainische Flüchtlinge durchmachen. Vor 23 Jahren kam er zusammen mit seinen Eltern, seiner Frau und zwei kleinen Kindern aus dem Kosovo (in Übereinstimmung mit Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen) als Flüchtling nach Nordmazedonien.

„Ich weiß, wie es sich anfühlt, alles zurücklassen zu müssen, was man im Laufe seines Lebens aufgebaut hat, ebenso wie Angehörige und geliebte Menschen“, erklärt er. „Aber ich erinnere mich auch gut daran, was es bedeutet, in der schwierigsten Zeit deines Lebens und in der Zeit der größten Unsicherheit Unterstützung zu erhalten.“

In seiner Funktion als Repräsentant der WHO sucht er den Dialog und nach einer gemeinsamen Sprache zwischen bulgarischen staatlichen Einrichtungen und nichtstaatlichen Organisationen, um Lösungen für die gesundheitlichen Probleme der ukrainischen Flüchtlinge im Land zu finden.

„Wir stehen zahlreichen vielfältigen gesundheitlichen Problemen gegenüber, von Kindern, die Routine-Impfungen und Kinderbetreuung brauchen, über Schwangere, die medizinische Versorgung und Unterstützung während Schwangerschaft und Entbindung und in der Zeit nach der Entbindung brauchen, bis hin zu älteren Menschen, die an Bluthochdruck, Diabetes oder anderen chronischen Erkrankungen leiden“, erläutert er. „Darüber hinaus haben wir mit einer Reihe von übertragbaren Krankheiten zu kämpfen, wie etwa HIV/Aids, Tuberkulose und Hepatitis.“

Synergien finden

Als die ersten Flüchtlinge im Land eintrafen, trat das bulgarische Rote Kreuz umgehend in Aktion und mobilisierte bezahlte Mitarbeiter wie auch Freiwillige, um den Menschen bei der Suche nach Obdach, Nahrung, medizinischen Produkten und Hygieneprodukten sowie Kleidung praktische Hilfe anzubieten. 

„Wir alle haben ungefähr 34 000 Stunden Freiwilligenarbeit geleistet“, erklärt Dr. Nadejhda Todorovska, Vize-Generaldirektorin des bulgarischen Roten Kreuzes. „Rund 5000 Freiwillige sind im Einsatz, nicht nur in der Hauptstadt Sofia, sondern an allen Zugangspunkten für Flüchtlinge im gesamten Land.“

Die Regierung stellte umgehend ein Koordinationsgremium zusammen, um Probleme anzugehen, die von der Gesundheitsversorgung bis hin zu Bildung, psychosozialer Unterstützung, Unterkunft und Nahrungsmitteln reichen. Dr. Dancho Penchev, Experte für öffentliche Gesundheit im bulgarischen Gesundheitsministerium, ist stolz darauf, wie sich die Einrichtungen dieser Herausforderung gestellt haben. 

„Wir haben unsere Anpassungsfähigkeit gezeigt“, sagt Dr. Penchev. „Unser System reagierte auf die Herausforderungen und es bestand eine gute Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Einrichtungen. Das war angesichts der Probleme, mit denen wir es zu tun hatten, von entscheidender Bedeutung.“

Dr. Angel Kunchev, Generalinspektor für nationale Gesundheit im Gesundheitsministerium Bulgariens, half, die Flüchtlingshilfe zu organisieren. „Meine größte Aufgabe bestand darin, alle beteiligten Akteure zu koordinieren. Eine Vielzahl an Organisationen und Ministerien ist in die Flüchtlingshilfe eingebunden. Wenn eine Flüchtlingsorganisation beteiligt ist, ist das großartig, aber es sind so viele Ministerien eingebunden – innere Angelegenheiten, Bildung, Gesundheit –, ganz zu schweigen von der Grenzpolizei, die unsere erste Kontaktstelle mit den Flüchtlingen ist.“

Die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen war elementar, um Informationen unter den Flüchtlingen zu verbreiten.

„Es gab einen Schlüsselmoment, in dem wir realisierten, dass nichtstaatliche Akteure am besten geeignet waren, Informationen direkt an ukrainische Flüchtlinge weiterzugeben, da sie jeden Tag mit ihnen in Kontakt treten“, erzählt Dr. Kunchev. Er merkt an, dass trotz der Erfahrung Bulgariens im Umgang mit früheren Flüchtlingswellen, vornehmlich aus dem Nahen Osten, die ankommenden Flüchtlinge aus der Ukraine deutlich mehr ältere Menschen, Frauen und kleine Kinder umfassen. 

„Die Menschen kommen in einem wirklich schlechten Zustand hier an“, fügt Dr. Kunchev hinzu. „Mütter kommen mit ihren eigenen Kindern an, aber oft auch mit Kindern von Angehörigen und Freunden – manchmal sind es 5 bis 10 Kinder. Sie sind auf tägliche Hilfe angewiesen: die Kinder mit der Schule, die Erwachsenen mit Jobs.“

Das WHO-Länderbüro in Bulgarien seinerseits unterstützt das Rote Kreuz dabei, den Flüchtlingen besseren Zugang zu Gesundheitsversorgung und Arzneimitteln zu verschaffen, wann immer und wo immer sie diese brauchen. Nachdem sie ein erfolgreiches Projekt in der Hauptstadt Sofia umgesetzt haben, planen sie nun, die Arbeit in die Städte Warna und Burgas auszuweiten, in denen die meisten ukrainischen Flüchtlinge untergekommen sind.

Auf alle Eventualitäten vorbereitet sein

Auch wenn sich die Zahl der Flüchtlinge seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise halbiert hat, weiß Dr. Skender, dass ihnen noch ein langer Weg bevorsteht. „Wir müssen das Beste hoffen, aber auf das Schlimmste vorbereitet sein. Die Situation ist sehr ungewiss und unvorhersehbar. Der Winter steht bevor, und das bedeutet, dass wir einen Anstieg der COVID-19- und Influenza-Fälle verzeichnen könnten. Deshalb arbeiten wir zusammen mit den bulgarischen Regierungsbehörden und nichtstaatlichen Organisationen an einem Notfallplan für die kommenden Wochen und Monate, um uns auf unterschiedliche Szenarien einzustellen, ausgehend von der Zahl der Menschen, die im Land eintreffen könnten.“

Dr Michail Okoliyski, ein Mitarbeiter des WHO-Länderbüros in Bulgarien, fügt hinzu: „Wir organisieren Schulungen zum Thema psychische Gesundheit für alle Fachkräfte, die in den vier Städten, in denen die wichtigsten Angebote für Migranten konzentriert sind – Warna, Burgas, Plowdiw und Sofia –, mit Flüchtlingen aus der Ukraine arbeiten. Zudem werden wir die Arbeit der Hotline des Roten Kreuzes für psychosoziale Unterstützung für gefährdete Ukrainer unterstützen, indem wir ukrainischsprachige Psychologen einstellen. Sie können Flüchtlinge unterstützen, deren Flucht durch traumatische Erlebnisse bedingt war. Darüber hinaus werden wir die Hotline auf fünf weitere Regionen ausweiten.“

WHO/Europa leistet bei all diesen Aktivitäten Unterstützung über seine Schaltzentrale für die Nothilfe in der Ukraine in Krakau (Polen).