FinnEM/Eeva Tuunainen
Dr. Eeva Tuunainen will die Stigmatisierung psychischer Gesundheitsprobleme bei Beschäftigten in der Akutversorgung in Finnland bekämpfen.
© Credits

„Wir sind keine Superfrauen“ – ein Blick auf die psychischen Bedürfnisse der Beschäftigten in der Akutversorgung in Finnland

22 March 2023
Pressemitteilung
Reading time:
„Was psychische Gesundheitsprobleme beim Notfallpersonal betrifft, kann ich Ihnen ganz platt sagen: das gibt es nicht. Wir haben keine. Solche Probleme haben unsere Patienten. Wir glauben, wir stehen da drüber. Da gibt es ein enormes Stigma“, sagte Eeva Tuunainen, eine Notärztin aus Finnland, in einer Podiumsdiskussion während der zweiten Tagung des Europäischen Bündnisses für psychische Gesundheit im November 2022 in Ankara. 

Diese Stigmatisierung will Eeva bekämpfen, indem sie es dem medizinischen Notfallpersonal in Finnland durch eine Sensibilisierungskampagne und Online-Beratungsangebote leichter macht, sich im Bedarfsfall Hilfe zu holen. „Unsere größte Herausforderung besteht darin, die Einstellungen des Notfallpersonals zur Inanspruchnahme von Hilfe zu verändern“, erklärte sie. 

Eeva ist Präsidentin von FinnEM, einer nichtstaatlichen Organisation, die in Finnland die Beschäftigten in der Akutversorgung vertritt und der über 1000 Ärzte, Pflegekräfte und andere Beschäftigte in Notaufnahmen angehören. Sie selbst arbeitet seit über 14 Jahren in Notaufnahmen und weiß nur zu gut, wie schädigend das Stigma psychischer Gesundheitsprobleme ist.

„Als Gesundheitspersonal an vorderster Linie sehen wir uns gerne als Superfrauen und Supermänner“, erklärte Eeva. „In Finnland fehlt uns bei unserer Arbeit das Wissen über Selbsthilfe, und das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Behandlung der Patienten.“ 

Sie erklärte, dass aufgrund der Art ihrer Arbeit viele Fachkräfte in der Akutversorgung sich emotional von den Patienten in ihrer Obhut distanzieren müssen. „Bis zu einem gewissen Grad müssen wir das tun, weil man nicht nach jedem Fall weinen kann“, stellte sie fest. „Aber man kann natürlich auch nicht die eigene Persönlichkeit ganz ausschalten. Das ist nicht echt, und so kann man nicht Familien versorgen und emotional betreuen.“

Eeva hat festgestellt, dass Fachkräfte in der Akutversorgung, die kein Ventil haben, um diese Gefühle zum Ausdruck zu bringen oder auch nur darüber zu reflektieren, manchmal allmählich in Zynismus verfallen. Dies könne nicht nur negative Auswirkungen auf die Arbeitsumgebung haben, sondern Zynismus sei auch ein „wirklich schlechtes Beispiel für die nachfolgenden Medizinstudenten“.

Bewusstsein und Beratung

WHO/Europa hat in seinem 2022 erschienenen Bericht „Gesundheits- und Pflegepersonal in Europa – Zeit zu handeln“ Herausforderungen für das Gesundheits- und Pflegepersonal in der Europäischen Region der WHO thematisiert. Dazu gehören neben den Engpässen beim Gesundheits- und Pflegepersonal gemessen an der steigenden Nachfrage auch eine unzureichende Personalgewinnung in wesentlichen Fachbereichen wie der primären Gesundheitsversorgung sowie Schwierigkeiten bei der Bindung von Personal aufgrund von Einflussfaktoren wie hoher Stressbelastung und der Erschöpfung seit COVID-19.  

Als die COVID-19-Pandemie begann, wurde Eeva klar, dass etwas geschehen musste, und zwar schnell: „Wir waren alle überarbeitet und überwältigt von all den täglich neuen Informationen und Anweisungen, aber natürlich auch von der Angst der Patienten und ihrer Angehörigen, und der unserer eigenen Familien und Verwandten.“ 

Als Erstes stellte FinnEM Fachkräfte aus den Bereichen Psychologie und Soziales ein und bot einen kostenlosen Online-Beratungsdienst namens FinnHELP an, der durch Spenden und staatliche Mittel unterstützt wurde. Dabei können Fachkräfte in der Akutversorgung bis zu fünf Therapiesitzungen in Anspruch nehmen, die über eine sichere Videokonferenz-Software erfolgen. Die Nutzer können dabei über alles sprechen, was sie auf dem Herzen haben – egal, ob es sich um Probleme mit einzelnen Patienten, ihr Privatleben oder ihren Arbeitsplatz handelt.

Dieser Dienst wird durch Sensibilisierungskampagnen ergänzt, die konkret auf das Personal in der Akutversorgung abzielen und die Inanspruchnahme von psychologischer Hilfe entstigmatisieren sollen.

„Wir haben von Anfang an dafür geworben“, erzählte Eeva. Eine der öffentlichkeitswirksamsten Kampagnen beinhaltete Beschäftigte in der Akutversorgung, die selbst den Dienst in Anspruch genommen hatten. „Wir haben die Leute dazu gebracht, zu erzählen und ihr Gesicht, ihre Arbeitsbelastung und ihren Arbeitsplatz zu zeigen. 

Ich glaube wirklich, dass das wichtig ist – darüber zu sprechen, Probleme zu thematisieren und Gesichter zu zeigen und so die Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass wir nicht anders sind als alle anderen.“

Förderung der psychischen Gesundheit

WHO/Europa erkennt die zunehmende Dringlichkeit der Unterstützung des Gesundheitspersonals an, auch durch Schutz ihrer psychischen Gesundheit und ihres seelischen Wohlbefindens. Am 22. und 23. März 2023 richtet WHO/Europa zusammen mit der rumänischen Regierung in Bukarest eine hochrangige Tagung der Europäischen Region aus, deren Ziel die Einigung auf eine Reihe konkreter Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung des Gesundheits- und Pflegepersonals sowie zu entsprechenden Investitionen ist.

Die Förderung der psychischen Gesundheit und des seelischen Wohlbefindens, insbesondere für die Gesundheitsberufe, ist ein Schlüsselbereich der Zusammenarbeit innerhalb des Europäischen Bündnisses für psychische Gesundheit, das Bestandteil der Bemühungen um eine allgemeine Gesundheitsversorgung und den Schutz der psychischen Gesundheit im gesamten Lebensverlauf ist.

Eeva wirbt auch weiterhin dafür, die psychische Gesundheit des medizinischen Personals im Auge zu behalten, die sie auch aus Sicht der Patientensicherheit für sehr wichtig hält. Ihre Teilnahme an der Podiumsdiskussion auf der Tagung des Europäischen Bündnisses für psychische Gesundheit in der Türkei diente dazu, mehr darüber zu erfahren, wie sich psychologische Betreuung besser in die Arbeitsumgebung integrieren lässt. „Wir wollen unbedingt die psychologische Sicht in unsere Arbeit und in unsere Kampagnen, Schulungen und sonstigen Veranstaltungen einbeziehen.“