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Immer auf die nächste Bedrohung für die menschliche Gesundheit vorbereitet: ein Gespräch mit Dr. Richard Molenkamp von der Abteilung Virologie am Medizinischen Zentrum der Erasmus-Universität Rotterdam

24 January 2023
Pressemitteilung
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Das Medizinische Zentrum der Erasmus-Universität in Rotterdam kann auf eine stolze langjährige Geschichte als Lehrkrankenhaus und Forschungseinrichtung zurückblicken. Seine weltweit renommierte Abteilung Virologie bemüht sich um ein besseres Verständnis in Bezug auf Viren und die von ihnen hervorgerufenen Infektionen auf der molekularen Ebene sowie auf der Patienten- und Bevölkerungsebene.

Dank seiner Arbeit und der ähnlicher Zentren in aller Welt können ernste Krankheitsgefahren schnell entdeckt und eingedämmt werden. Tatsächlich beinhaltet die Arbeit die Untersuchung und Überwachung eines breiten Spektrums von Viren: vom Schweren akuten respiratorischen Syndrom (SARS) und dem Nahost-Atemwegssyndrom (MERS) bis hin zu Ebola, HIV, Influenza, Herpes und Masern. 

Neben den bekannten Viren befassen sich die Forscher mit neuen und neu auftretenden Krankheitserregern, die eine Gefahr für Menschen darstellen könnten und die aufgrund einer Vielzahl von Faktoren  – Globalisierung, veränderte Bodennutzung und Klimawandel – immer häufiger auftreten. Die aktuelle COVID-19-Pandemie, die jetzt in ihr viertes Jahr eintritt, und die gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite infolge der vor Kurzem aufgetretenen Mpox (Affenpocken) sind nur zwei Beispiele aus jüngerer Zeit, die die beträchtlichen möglichen Folgen von Zoonosen (von Tieren stammenden Krankheiten) in unserer eng verflochtenen Welt verdeutlichen. 

Um mehr über die Arbeit der Abteilung Virologie, vor allem vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie, zu erfahren, sprachen wir mit Dr. Richard Molenkamp, einem dort beschäftigten klinischen Molekularbiologen. 

Wie lange arbeiten Sie schon am Medizinischen Zentrum der Erasmus-Universität, und wo liegen Ihre speziellen Aufgaben?

Ich bin hier seit viereinhalb Jahren tätig, und mein Aufgabenbereich ist die Molekulardiagnostik – also die Analyse von Markern im Genom von Viren zum Zwecke der Diagnose und Überwachung von Krankheiten und zur Unterstützung von Klinikern bei Entscheidungen über die besten Therapien für ihre Patienten.

Daneben habe ich auch Aufgaben in den Referenzzentren für eine Reihe von Viren. Das Medizinische Zentrum der Erasmus-Universität ist das WHO-Kooperationszentrum zur Dokumentation und Erforschung von Arboviren und hämorrhagischem Fieber. Arboviren werden durch Stechmücken, Zecken und andere Antropoden übertragen. Zur Arbeit des Kooperationszentrums gehört auch die Beschäftigung mit neuartigen und neu auftretenden Infektionskrankheiten, wie sie etwa von Coronaviren verursacht werden. Daneben ist die Abteilung Virologie auch als eines der Referenzlabore der Europäischen Region der WHO für Masern und Röteln akkreditiert und fungiert auch als Nationales Referenzzentrum für Influenza und neu entstehende virale Krankheiten in den Niederlanden. 

Können Sie uns einen kurzen Überblick über Gegenstand und Zweck der Arbeit der Abteilung Virologie geben?

Wir sind in den Bereichen Grundlagenforschung und Diagnostik tätig, und überall dazwischen! Zielsetzung aller unserer Aktivitäten ist, dass die Ergebnisse Nutzen für die menschliche Gesundheit bringen. Wir sind eine große Abteilung mit 200 bis 300 Mitarbeitern, von klinischen Ärzten, die direkten Kontakt zu den Patienten haben, bis zu Wissenschaftlern und Technikern auf allen Ebenen, die die eigentliche Diagnosearbeit und die Untersuchungen durchführen.

Wie gehen Sie bei der Identifizierung, Charakterisierung und Diagnose der Viren vor?

Je nach der konkreten diagnostischen Fragestellung bemühen wir uns darum, das genomische Material des Virus zu identifizieren, indem wir mit einer Polymerase-Kettenreaktion (PCR) die Ribonukleinsäurestränge (RNA), die die den genomischen Code des Virus bilden, kopieren, amplifizieren und nachweisen.

Darüber hinaus können wir sequenzieren, um die genaue Reihenfolge der in den RNA-Strängen enthaltenen genetischen Informationen zu erfahren. Das hilft uns bei der Identifizierung und Charakterisierung des Virus, etwa bei der Bestimmung, ob Mutationen an dem Virus sich auf die antivirale Therapie auswirken könnten. 

Oder wir können durch Untersuchung auf Antikörper im Serum der Patienten (Serologie) bestimmen, ob diese schon einmal mit dem Virus infiziert waren. Schließlich verwenden wir Virenkulturen in manchen Fällen auch dazu, einige sehr spezifische diagnostische Fragestellungen zu beantworten. 

Welche Rolle haben die Labore des Medizinischen Zentrums der Erasmus-Universität bei den Tests auf SARS-CoV-2 gespielt, das Virus, das COVID-19 verursacht?

Seit Beginn der Pandemie im Januar 2020 arbeiteten wir zusammen mit anderen Kooperationszentren der WHO an der Validierung der vom Labor der Charité in Berlin entwickelten PCR-Tests, die weltweit zur Standardmethode für den diagnostischen Nachweis des SARS-CoV-2 wurden.

Schließlich begannen wir in der dritten Januarwoche 2020 mit den Testungen auf SARS-CoV-2. Seit diesem Zeitpunkt beraten wir durchgehend mit der WHO sowie mit anderen Kooperationszentren der WHO in aller Welt über Informationen zu dem Virus und über Labormethoden.

In den Niederlanden untersuchten wir zunächst nur Verdachtsfälle mit einer Reisegeschichte nach China oder später nach Italien, aber Ende Februar hatten wir auch hier unseren ersten positiven COVID-19-Fall. Ab diesem Zeitpunkt begannen wir mit Routine-Tests und gingen dabei zusammen mit dem RIVM (Nationales Institut für öffentliche Gesundheit und Umwelt) vor, um uns gegenseitig die Testergebnisse zu bestätigen. 

Als die Pandemie sich dann rasant ausbreitete und sich immer mehr Krankenhauslabore an den Tests beteiligten, waren wir das einzige Testlabor im Raum Rotterdam; erst im August 2020 wurde erkannt, dass größere Testkapazitäten benötigt wurden, als wir bereitstellen konnten. 

Im Augenblick sind wir hauptsächlich mit Routinetests bei neu aufgenommenen Patienten in unserem Krankenhaus beschäftigt und testen natürlich auch weiterhin unser Krankenhauspersonal regelmäßig, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern und eine ausreichende Verfügbarkeit von Gesundheitsfachkräften sicherzustellen.   

Mit Fortschreiten der Pandemie sind neue Varianten entstanden. Sind Sie darüber überrascht, wie sich das Virus mit der Zeit verändert und entwickelt hat?

Eigentlich nicht. Ausgehend von unseren Erfahrungen und von früheren Studien über Coronaviren und andere genetisch aus RNA gebildete Viren ist es wohl kaum eine Überraschung, dass es zu gewissen Veränderungen an der Zusammensetzung des SARS-CoV-2 gekommen ist. Neu an dieser Pandemie ist aber, dass wir hier anders als bei anderen Ausbrüchen aufmerksam verfolgen konnten, wie das Virus die Bevölkerung durchlaufen hat; dies war dank der Hochleistungsverfahren möglich, die für eine Sequenzierung in Echtzeit entwickelt wurden. Die Menge an genetischen Daten, die wir für SARS-CoV-2 haben, ist beispiellos. Das hat uns in die Lage versetzt, neue Varianten wesentlich leichter zu entdecken und ihre Ausbreitung in Echtzeit zu verfolgen.  

Hat Ihr Testsystem sich aufgrund der Zahl der von COVID-19 betroffenen Menschen verändert?

Auf jeden Fall. Zu Beginn der Pandemie teilten wir uns die Proben mit dem Labor des RIVM, um gemeinsam zu testen und zu bestätigen; dazu verwendeten wir manuelle PCR-Systeme und kamen dann zu gemeinsamen Entscheidungen hinsichtlich der Resultate. Das war natürlich in Ordnung, solange wir es nur mit einer Handvoll Fälle zu tun hatten, aber da die Bestätigung eines Resultats mehr als 24 Stunden dauerte, wurde der Prozess mit rapide zunehmenden Fallzahlen schnell unzureichend.

Dank der Entwicklung und Einführung von stärker automatisierten Systemen können wir inzwischen Tests in der Bevölkerung innerhalb von zwölf Stunden durchführen, und manche Labore arbeiten rund um die Uhr. Wenn wirklich schnelle Antworten benötigt werden – wenn zum Beispiel die Notaufnahme eines Krankenhauses überlastet ist und für die Verlegung eines Patienten auf eine andere Station ein negativer Test gebraucht wird –, dann können wir mit molekularen Schnelltests innerhalb einer Stunde ein Ergebnis erhalten. Diese sind allerdings teuer und nur für kleine Testvolumina geeignet, sodass wir sie nur in besonders dringenden Fällen anwenden.

Wie trägt Ihre Arbeit zur Bekämpfung und Beendigung der Pandemie bei?

Während der gesamten Dauer der Pandemie haben wir Personen mit milder Symptomatik getestet, um die Infektionen zu bekämpfen und eine weitere Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung zu verhindern. Als dann Impfstoffe verfügbar waren, haben wir diese auf ihre Wirksamkeit untersucht, vor allem im Hinblick auf neue Varianten, und Diagnostika bereitgestellt, um ihre Wirkung zu bewerten. 

Darüber hinaus untersuchen wir auch die Wirksamkeit antiviraler Verbindungen bei neu entstehenden Varianten, und das alles trägt wesentlich zur Entwicklung neuer, zielgenauerer Impfstoffe und antiviraler Therapien bei.  

Sind Sie der Ansicht, dass die Bedeutung von Laboren bei der Erforschung und Überwachung von Krankheiten sowie bei Tests von Regierungen, Gesundheitsbehörden und der breiten Öffentlichkeit in vollem Umfang wahrgenommen wird? Was muss geschehen, um wirksamer zu kommunizieren, was zu tun ist? 

Labore arbeiten oft hinter den Kulissen, und ihre Arbeit wird daher manchmal leicht für selbstverständlich gehalten. Tatsächlich kommt es mir oft so vor, als ob die Öffentlichkeit, die Politik und sogar manche Kliniker sie als eine Art Maschinerie betrachten, bei der man einen Knopf drückt und dann einfach die Ergebnisse herauskommen. 

Die Wirklichkeit ist weit komplizierter. Denn Labore funktionieren nur gut, wenn sie ihr Fachwissen kontinuierlich erweitern. Ohne Fachlabore und die erforderlichen Mittel zu ihrem Betrieb und Ausbau hätten wir nur ein sehr begrenztes Verständnis von Krankheiten, der Infektionsdynamik und den besten Möglichkeiten zur Verhinderung bzw. Behandlung neu entstehender Gesundheitsgefahren. Das hat sich während der COVID-19-Pandemie besonders deutlich gezeigt, da viele der Bekämpfungsmaßnahmen dank der Daten aus Fachlaboren wie unserem entwickelt wurden.

Im Allgemeinen bemühen sich Labore – auf jeden Fall ist das bei uns so –, ihre Arbeit auf vielfältige Weise zu kommunizieren, indem sie Ergebnisse veröffentlichen, mit der Presse sprechen und die maßgeblichen Akteure informieren. Doch wissenschaftliche Kommunikation ist eine Wissenschaft für sich und muss meiner Ansicht nach stärker an die nächste Generation von Laborwissenschaftlern vermittelt werden, um ihre Effektivität zu erhöhen.