Erklärung – Gemeinsam können wir die Tuberkulose bis 2035 beenden

24 March 2023
Aussage
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Erklärung von Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz von ECDC und WHO anlässlich des Welt-Tuberkulose-Tags

24. März 2023 

Liebe Freunde, Kollegen und Partner, ich grüße Sie aus der Europäischen Region der WHO, die insgesamt 53 Länder in ganz Europa und Zentralasien umfasst – einer Region, wo die Beendigung der Tuberkulose noch immer eine unerledigte Aufgabe bleibt, doch die gleichzeitig über das nötige Fachwissen verfügt, um die Tuberkulose zu beenden. 

Vor 141 Jahren identifizierte Robert Koch am 24. März 1882 das Mycobacterium tuberculosis als den Erreger einer Krankheit, die zum damaligen Zeitpunkt als unheilbar galt. 

Wenn wir heute, am 24. März 2023, dem Welt-Tuberkulose-Tag, zurückblicken, haben wir bei der Bekämpfung dieser vermeidbaren – und ja, auch heilbaren – Krankheit und den mit ihr verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Faktoren enorme Fortschritte erzielt.

Wir sollten eigentlich gut gerüstet sein, um die Tuberkulose bis 2035 zu beenden, wenn man bedenkt, dass wir schon seit Langem in der Lage sind, diese Krankheit zu diagnostizieren und zu behandeln und ihre Ausbreitung zu verhindern. Die derzeitige Realität sieht jedoch ganz anders aus. 

Seit der ersten Tagung der Vereinten Nationen auf hoher Ebene zum Thema Tuberkulose sind fünf Jahre vergangen. Auf dieser Tagung wurden ehrgeizige Zielvorgaben festgelegt, die im letzten Jahr eigentlich hätten erreicht worden sein sollen. Die seitdem erzielten Fortschritte sind jedoch trostlos – und dafür gibt es vielfältige Gründe.

Zahlreiche Krisen, die rascher als je zuvor aufeinanderfolgten – Naturkatastrophen, Konflikte, COVID 19 –, sie alle haben dazu beigetragen, dass die Gesundheitssysteme schwer beeinträchtigt und in der Folge auch die erzielten Fortschritte gefährdet wurden, darunter auch die Bekämpfung der multiresistenten Tuberkulose und von Tuberkulose- und HIV-Koinfektionen.

Vor nur drei Jahren, vor Beginn der Pandemie, war die Europäische Region auf einem guten Weg – bei Tuberkuloseinzidenz und -mortalität etwa verzeichnete sie den stärksten Rückgang weltweit. 

Doch der Globale Tuberkulosebericht für das Jahr 2022 liefert ein düsteres Bild der Wirklichkeit. Im Jahr 2021 stieg die durch Tuberkulose bedingte Mortalität in der Region im Vergleich zum Jahr 2020, und die rückläufige Inzidenzrate stagnierte zum ersten Mal seit 20 Jahren. 

Liebe Kollegen, dies sind bemerkenswerte Zeiten für diejenigen unter uns, die im Bereich Tuberkulose arbeiten. Wir müssen die uns zur Verfügung stehenden neuen Technologien in vollem Umfang nutzen, so etwa molekulare Schnelldiagnose, bessere und kürzere Präventions-, Behandlungs- und Versorgungsregime sowie innovative digitale Gesundheitslösungen.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Tuberkulose verfügen wir über Behandlungsregime, die nur sechs Monate dauern – sowohl für die sogenannte „übliche“ Tuberkulose als auch für ihre multiresistente Form. Führen Sie sich das einmal vor Augen: wir können eine Tuberkulosediagnose und Medikamentenresistenz innerhalb weniger Stunden bestätigen und unmittelbar mit der Behandlung beginnen. Noch vor wenigen Jahren hätten wir uns das vermutlich gar nicht vorstellen können. 

Wir verfügen also über die wissenschaftlichen und medizinischen Instrumente, um verlorenen Boden wiedergutzumachen. 

Doch dafür brauchen wir dringend stärkere, konsistente, mit großem Einsatz verbundene Partnerschaften zwischen Mitgliedstaaten, Geberstellen und betroffenen Gemeinschaften, wenn wir alle, die mit Tuberkulose leben, erreichen und ihnen die Behandlung und Versorgung zukommen lassen wollen, die sie brauchen. 

Und dennoch sehen wir allzu oft fragmentierte Vorgehensweisen, bei denen unterschiedliche maßgebliche Akteure weiterhin isoliert voneinander arbeiten – etwa auch im Hinblick auf die Trennung der Bereiche Tuberkulose und HIV –, anstatt miteinander zu kooperieren und Anstrengungen und Ressourcen zu integrieren. Dabei ist ehrlich gesagt der Misserfolg vorprogrammiert.

Es bedarf größerer Führungsstärke, verstärkter Investitionen in eine patientenorientierte Versorgung, mehr Forschung und größerer Unterstützung für die Einführung und Ausweitung von Innovationen im Bereich Tuberkulose. Darüber hinaus müssen wir den Zugang zur Versorgung verbessern, sämtliche Plattformen für die Bereitstellung von Versorgungsangeboten einbeziehen, in gemeinschaftsnahe Leistungen investieren und die Verknüpfung mit der primären Gesundheitsversorgung stärken. 

Jetzt ist genau die richtige Zeit, um einen neuen Pfad zur Erreichung des Endziels der Beendigung der Tuberkulose in der Europäischen Region wie auch weltweit aufzuzeigen. 

In diesem September wird mit der Ausrichtung der zweiten Tagung der Vereinten Nationen auf hoher Ebene zum Thema Tuberkulose, die gemeinsam von Polen und Usbekistan – also zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Region der WHO – organisiert wird, unserer Region wahrlich eine Ehre zuteil. 

Auf dieser Tagung werden sich weltweite Führungspersönlichkeiten zu neuen Zielvorgaben bekennen und neue Etappenziele für die Beendigung der Tuberkulose festlegen. Daraus darf keine bedeutungslose Übung werden. Sondern diese neuen Bekenntnisse müssen zu Handlungen und Rechenschaftslegung auf allen Ebenen führen. 

Diese Bekenntnisse sollten ein Versprechen sein, dass wir den Menschen, die am meisten auf Hilfe angewiesen sind, helfen werden – denn Tuberkulose ist größtenteils eine Krankheit der Armut und der Vernachlässigung, verschleiert durch Stigmata und Diskriminierung, und betrifft vor allem einige unserer am stärksten auf Schutz angewiesenen Mitmenschen. 

Liebe Freunde, Sie ahnen sicher, dass die Beendigung der Tuberkulose mir sehr am Herzen liegt. In meiner gesamten beruflichen Laufbahn, in deren Verlauf ich in einigen der schwierigsten Umfelder auf diesem Planeten eng mit entsprechenden Gesundheitsfachkräften zusammengearbeitet und Menschen, die mit dieser Krankheit leben, unterstützt habe, war die endgültige Beendigung der Tuberkulose schon immer eine Leidenschaft und ein allgegenwärtiges Ziel von mir. 

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Tuberkulose beenden können. Und zwar gemeinsam. 

Vielen Dank.