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Zunahme der Tuberkulosefälle bei Kindern um 10 %: ein beunruhigender Weckruf für die Europäische Region

24 March 2025
Medienmitteilung
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Stockholm/Kopenhagen, 24. März 2025

Aus dem heute vom Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und WHO/Europa veröffentlichten Bericht „Tuberculosis surveillance and monitoring in Europe“ [dt. Tuberkulose-Surveillance und -Kontrolle in der Europäischen Region] geht hervor, dass 4,3 % der Erst- und Rezidivfälle von Tuberkulose in der Europäischen Region der WHO auf Kinder unter 15 Jahren entfallen, was für 2023 einen besorgniserregenden Anstieg der pädiatrischen Tuberkulose um 10 % gegenüber dem Vorjahr bedeutet. 

Ebenso machten Kinder unter 15 Jahren 4,3 % aller Tuberkulosefälle in den Ländern der Europäischen Union (EU) und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) aus, was einen Anstieg im dritten Jahr in Folge bedeutet. 

Diese Erkenntnisse über die Zunahme der Tuberkulose bei Kindern verdeutlichen, dass die Übertragung von Tuberkulose in der Europäischen Region immer noch andauert und dass sofortige Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich sind, um die wachsende Tuberkulosebelastung zu bekämpfen und zu verringern. Die Ergebnisse verdeutlichen auch die zunehmende Prävalenz der Krankheit in jüngeren Altersgruppen, während die Zahlen der gemeldeten Fälle insgesamt weiter ansteigen: so wurden zwischen 2022 und 2023 über 650 zusätzliche Tuberkulosefälle bei Kindern gemeldet. Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, dass in den Ländern der EU und des EWR bei jedem fünften Kind mit Tuberkulose nicht bekannt ist, ob die Behandlung abgeschlossen ist. Diese Ungewissheit über den Abschluss der Behandlung kann zu ungünstigeren gesundheitlichen Resultaten führen, wie etwa das Auftreten von medikamentenresistenter Tuberkulose (DR-Tb) und ihre Weiterübertragung. 

Die jüngsten Daten des Berichts für das Jahr 2025 zeigen, dass sich die Europäische Region zwar von den Auswirkungen der COVID-19-Krise erholt, dass aber bei der Prävention, Diagnose, Behandlung und Versorgung von Tuberkulosefällen die Folgen der Pandemie weiterhin zu spüren sind.

„Es ist jetzt Zeit zum Handeln für eine Beendigung der Tuberkulose. Da nur noch fünf Jahre bleiben, um unsere Ziele für 2030 zu erreichen, muss Europa wieder verstärkt auf Prävention und rechtzeitige, wirksame Therapien setzen. Angesichts der Zunahme der medikamentenresistenten Tuberkulose werden wir alle bei Untätigkeit morgen den Preis zahlen müssen“, sagte Dr. Pamela Rendi-Wagner, Direktorin des ECDC.

Trotz Fortschritten weiterhin hohe Tuberkulosebelastung

2023 begann die Zahl der Menschen, bei denen Tuberkulose diagnostiziert und behandelt wurde, wieder anzusteigen, nachdem 2020 aufgrund der durch COVID-19 bedingten Unterbrechungen ein beispielloser Rückgang verzeichnet worden war.

In der Europäischen Region der WHO, die Europa und Zentralasien umfasst, wurden 2023 über 172 000 Menschen mit neuer und rezidivierender Tuberkulose gemeldet, was in etwa dem Niveau von 2022 entspricht. In den Ländern der EU und des EWR wurden knapp 37 000 Personen diagnostiziert – ein Anstieg gegenüber den 35 000 Fällen im Vorjahr. 

„Die Beendigung der Tuberkulose ist kein Traum, sondern eine Möglichkeit. Leider erinnern die aktuelle Prävalenz der Tuberkulose und der besorgniserregende Anstieg der Zahl tuberkulosekranker Kinder daran, dass die Fortschritte bei der Bekämpfung dieser vermeidbaren und heilbaren Krankheit nach wie vor fragil sind“, sagte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa. „Schon vor den jüngsten Kürzungen in der internationalen Entwicklungshilfe sah sich die Welt bei der globalen Tuberkulosebekämpfung mit einem Defizit von 11 Mrd. US-$ konfrontiert. In der gesamten Europäischen Region, und vor allem in Ländern außerhalb der EU, könnten lebenswichtige Tuberkuloseprogramme davon betroffen sein. Das bedeutet, dass die Übertragung der Tuberkulose unbemerkt bleiben kann, was die Ausbreitung schwer behandelbarer Stämme weiter begünstigt. Aber wir dürfen nicht aufgeben. Wir müssen den Kampf gegen die Tuberkulose fortsetzen und neue Partner finden, die sich uns anschließen. Dank neuer Behandlungsmethoden, technologischer Fortschritte und Innovationen verfügen wir über die entsprechenden Mittel. Wir verändern die Tuberkulosebehandlung von Grund auf zum Besseren – und ich hoffe, für immer.“ 

Behandlungserfolgsquoten hinken noch hinterher

In der Europäischen Region lag die Behandlungserfolgsquote bei Personen mit neuer und rezidivierender Tuberkulose, die im Jahr 2022 eine Behandlung mit Erstrangmedikamenten begannen, bei 75,5 %. Ähnlich wie in den Vorjahren war die Behandlungserfolgsquote im Jahr 2023 in den Ländern der EU und des EWR niedriger als in der übrigen Europäischen Region der WHO (67,9 % bzw. 77,2 %).

Damit klafft eine erhebliche Lücke zwischen den derzeitigen Behandlungserfolgsquoten und den von der WHO festgelegten globalen Zielvorgaben, wonach mindestens 90 % der Patienten erfolgreich behandelt werden sollen.

Besorgniserregend ist, dass die multiresistente Tuberkulose (MDR-Tb) in der Europäischen Region nach wie vor eine große Herausforderung darstellt und die Erfolgsquoten bei der Behandlung von MDR-Tb-Patienten weit hinter den Erwartungen zurückbleiben. So lag 2023 die gemeldete Erfolgsquote bei der Behandlung von MDR-Tb in der Europäischen Region, bei der häufig traditionelle Behandlungen mit Injektionsmitteln eingesetzt werden, bei nur 59,7 %, was auf die anhaltenden Schwierigkeiten bei der Behandlung dieser komplexen Fälle hindeutet. Noch schlechter sieht es für die Länder der EU und des EWR aus, wo die Erfolgsquote bei der Behandlung von MDR-Tb-Patienten bei nur 56,3 % liegt. 

Diese Zahlen sind besorgniserregend, denn sie zeigen, dass es nach wie vor schwierig ist, medikamentenresistente Stämme wirksam zu bekämpfen, was wahrscheinlich auf Probleme wie Therapiebefolgung, Verzögerungen bei der Diagnose und unzureichenden Zugang zu geeigneten Therapien zurückzuführen ist. 

Trotz Verbesserungen in der Tuberkulosediagnostik und -behandlung unterstreicht das Fortbestehen der MDR-Tb und anderer medikamentenresistenter Formen der Krankheit die dringende Notwendigkeit wirksamerer Behandlungsstrategien und eines verbesserten Patientenmanagements, u. a. mit neuen und kürzeren oralen Behandlungsschemata ohne Injektionen. 

Bedrohung durch Tuberkulose-HIV-Koinfektion bleibt 

Die HIV-Koinfektion stellt für Tuberkulosepatienten in der Europäischen Region nach wie vor ein Problem dar. So waren nach Meldungen 2023 über 15 % der Patienten mit neuer und rezidivierender Tuberkulose mit HIV koinfiziert. In der Europäischen Region der WHO sind dies mehr als 19 000 Menschen mit einer Tuberkulose-HIV-Koinfektion, in den Ländern der EU und des EWR sind es über 600. Aus den verfügbaren Daten geht hervor, dass in der Europäischen Region jede fünfte Person mit HIV-Tb-Koinfektion überhaupt keine antiretrovirale Therapie (ART) erhält. 

Allerdings ist das Bild bei weitem nicht vollständig; nur 21 Länder haben Informationen über die Inanspruchnahme der ART gegen HIV unter Tuberkulosepatienten bereitgestellt, und nur vier dieser Länder gehören der EU oder dem EWR an. Dies unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Anstrengungen zur Verbesserung der Berichterstattung über HIV-Koinfektionen.

Sowohl das ECDC als auch die WHO fordern die Mitgliedstaaten auf, Lücken in der Versorgung von Tuberkulose- und HIV-Patienten dringend zu schließen und eine umfassende Versorgung sicherzustellen, um die Übertragung zu verringern und die Resultate für die Patienten in der gesamten Europäischen Region zu verbessern.

Fortschritte bei der Eliminierung der Tuberkulose in der Europäischen Region 

Zur Bewältigung dieser Herausforderungen und zur Beschleunigung der Fortschritte in Richtung des globalen Ziels der Beendigung der Tuberkulose unterstreichen das ECDC und WHO/Europa die Notwendigkeit, die Anstrengungen zu verstärken, um Menschen mit Tuberkulose wirksamer erkennen und behandeln zu können. Dazu gehört auch die Ausweitung des Zugangs zu kürzeren, vollständig oralen Behandlungsschemata, die sich als vielversprechend für die Verbesserung der Resultate bei Patienten mit DR-Tb erwiesen haben. Weitere wichtige Maßnahmen zur Verringerung der Prävalenz von Tuberkulose und DR-Tb sind die Verstärkung der Tuberkulosetests und die Gewährleistung, dass alle Risikopersonen Zugang zu Präventivbehandlungen gegen Tuberkulose erhalten. Nur durch verstärkte Anstrengungen in diesen Bereichen wird es letztlich möglich sein, die für die Eliminierung der Tuberkulose in der Europäischen Region gesetzten Ziele zu erreichen.

Um die Fortschritte auf dem Weg zur Eliminierung zu beschleunigen, kommt es entscheidend darauf an, sich stärker auf Hochprävalenzländer zu konzentrieren, die Strategien zur Tuberkuloseprävention zu verbessern und die Tb-HIV-Koinfektion ins Visier zu nehmen.

Noch nie gab es so viele Instrumente und Möglichkeiten zur Tuberkulosebekämpfung wie heute – von neuen diagnostischen Tests und Behandlungen bis hin zu neuen Impfstoffen, die sich in der Entwicklung befinden. Wenn wir uns zu einer länderübergreifenden Zusammenarbeit, einem transparenten Datenaustausch und einer gemeinsamen Bewältigung von Defiziten und Herausforderungen verpflichten, ist die Eliminierung der Tuberkulose in greifbarer Nähe.