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„Zuhören, zuhören, zuhören“ – wie Kooperation und Kommunikation mit gefährdeten Gruppen in Lettland den Zugang zu Impfungen gegen Affenpocken verbessern

27 December 2022
Pressemitteilung
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Vor dem Zentrum für Infektionskrankheiten in Riga liegt Schnee, und die Temperatur ist deutlich unter dem Gefrierpunkt. Doch drinnen wartet ein freundlicher Empfang. In dem hell erleuchteten Foyer begrüßt der Freiwillige Alex Ivanayev, dessen strahlendes Lächeln sogar hinter seiner Schutzmaske zu erkennen ist, die Menschen, die zur Impfung gegen Affenpocken gekommen sind. 

Alex selbst hatte sich im Sommer mit den Affenpocken infiziert – für ihn eine der schlimmsten Erfahrungen seines Lebens. Er hatte extreme Halsschmerzen, und seine Lymphdrüsen waren so entzündet, dass er drei Tage lang nichts essen konnte. Doch er ging nicht zum Arzt, da er befürchtete, aufgrund von unbegründeten Vorurteilen gegenüber Männern mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten stigmatisiert zu werden. 

Inzwischen will Alex als Freiwilliger andere auf einen neuen Pfad zur Impfung bringen, der es ihnen ermöglicht, sich statt einer Überweisung durch den Hausarzt durch die zivilgesellschaftliche Organisation Mozaika überweisen zu lassen, die für die Rechte von LGBT-Menschen (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) eintritt und in deren Vorstand er sitzt. 

Dieser reibungslose und vorurteilsfreie Weg zur Impfung ist Teil einer erfolgreichen Kooperation mit dem lettischen Gesundheitsministerium, die den Zugang zu Impfungen und zu Informationen über das Virus verbessert. Er unterstreicht die entscheidende Rolle von Risikokommunikation und Bürgerbeteiligung als Elemente der Reaktion auf gesundheitliche Notlagen.

Eine Partnerschaft für Gesundheit

Als im Mai 2022 die ersten Fälle von Affenpocken in Europa gemeldet wurden, begannen die Mitglieder von Mozaika, mit ihrer Klientel über Wege zur Vermeidung einer Infektion zu sprechen. Während dieser Gespräche erfuhr Kaspars Zalitis, der Direktor von Mozaika, dass manche befürchteten, stigmatisiert zu werden, wenn sie mit Symptomen der Affenpocken zum Hausarzt gehen oder um eine Präexpositionsimpfung bitten. 

Kaspars erkannte diese Bedenken als eine Barriere für die Inanspruchnahme von Impfungen und anderen Gesundheitsangeboten und wandte sich an das Gesundheitsministerium, mit dem seine Organisation schon seit Langem bei der Prävention und Behandlung von HIV zusammenarbeitet.

„Wir hatten dann bald ein erstes Gespräch, nicht nur mit dem Gesundheitsministerium, sondern wirklich mit allen möglichen Interessengruppen – dem Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten, dem Nationalen Gesundheitsdienst, dem Zentrum für Infektionskrankheiten, dem Referenzlabor. Wir hatten gerade erst einen Seuchenausbruch erlebt – COVID-19. Wir konnten keinen weiteren Ausbruch brauchen. Also lieber zusammenarbeiten. Warum nicht die Gelegenheit nutzen?“  

Dies ist genau der von WHO/Europa empfohlene Ansatz. Eine enge Abstimmung zwischen Entscheidungsträgern, Leistungsanbietern und gemeindenahen Organisationen im Interesse der durch Affenpocken am stärksten gefährdeten Gruppen ist eine wesentliche Voraussetzung für maßgeschneiderte Konzepte und Interventionen und eine entsprechende Kommunikation. 

Organisationen wie Mozaika haben das Vertrauen von Menschen, die sich als schwul oder bisexuell identifizieren, und von anderen Männern mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten und damit günstige Voraussetzungen dafür, detaillierte Erkenntnisse zu sammeln und weiterzugeben, wie sie zum Verständnis der Triebkräfte und Hindernisse für die Inanspruchnahme von Präventionsmaßnahmen erforderlich sind.

„Unsere Gesellschaft ist nicht homogen. Wir sind alle sehr verschieden, aber wir wollen alle gesund bleiben und in der Lage sein, Krankheiten zu vermeiden“, sagt Inga Liepina, Leitende Sachverständige in der Abteilung Umwelt und Gesundheit beim lettischen Gesundheitsministerium. „Wir haben die Impfstoffe gegen Affenpocken und müssen sie nutzen. Impfstoffe sind da, um genutzt zu werden, nicht um im Kühlschrank zu liegen!“ 

In den vorläufigen Empfehlungen der WHO zur Impfung gegen Affenpocken werden die vorrangigen Gruppen für die primäre Vorsorgeimpfung genannt: Personen mit einem hohen Expositionsrisiko, namentlich Menschen, die sich als schwul oder bisexuell identifizieren, und andere Männer mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten. 

Ärztliche Versorgung ohne Vorurteile

„Die überwiegende Mehrheit der Überweisungen zur Impfung gegen Affenpocken kommt von Mozaika“, erklärt Inga Ažiņa, Leiterin der Ambulanz am Lettischen Zentrum für Infektionskrankheiten. „Ich bin wirklich zufrieden. Das funktioniert großartig.“ 

Auch Irēna Anna Damberga, Impfärztin am Zentrum für Infektionskrankheiten, ist von dem neuen Überweisungssystem beeindruckt: „Bei Mozaika arbeiten sehr organisierte, disziplinierte, integere Menschen. Das ist ein großer Vorteil.“ 

Irēna Anna begrüßt alle, unabhängig davon, welche Impfung sie erhalten, freundlich und fröhlich; deshalb ist sie bei ihren Patienten beliebt. Im Sprechzimmer hört man oft Lachen, und Menschen, die bei ihrer Ankunft nervös wirkten, gehen mit einem entspannten Lächeln nach Hause. „Wir behandeln alle gleich“, betont sie. „Wir dürfen keinen Unterschied zwischen den Leuten machen. Wer Medizin studiert hat, muss das wissen.“ 

Eine kreative Lösung 

Die schriftlichen Anweisungen des lettischen Gesundheitsministeriums wurden um die Einbeziehung von Mozaika in das Überweisungsverfahren für die Impfungen ergänzt. So wird ihre Beteiligung an dem Pfad legitimiert und ein klares Muster für etwaige Nachahmer aufgezeigt.

„Aufgrund dieser Kooperation zwischen dem Gesundheitsministerium und einer zivilgesellschaftlichen Organisation haben nun die am stärksten gefährdeten Gruppen einen besseren Zugang zu Impfungen“, sagt Uldis Mitenbergs, Leiter des WHO-Länderbüros in Lettland. „Zur Bekämpfung dieses Ausbruchs kommt es darauf an, Diskriminierung zu vermeiden, einer Stigmatisierung entgegenzuwirken, für die besonders gefährdeten Gruppen einzutreten und die Bevölkerung einzubinden. Dies ist ein Paradebeispiel dafür, wie wir durch Zusammenarbeit zu einem für alle zufriedenstellenden Ergebnis kommen können.“  

WHO/Europa unterstützt Reaktion auf die Affenpocken

Das WHO-Länderbüro in Lettland hat den Dialog zwischen dem Gesundheitsministerium und Mozaika unterstützt. Es arbeitet weiterhin eng mit der Regierung zusammen und entwickelt feste berufliche Arbeitsbeziehungen mit gemeindenahen Organisationen. 

Seit Beginn des Ausbruchs hat das Länderbüro auch fachliche Leitlinien und vorbildliche Praktiken für den Umgang mit den Affenpocken an die maßgeblichen Interessengruppen weitergegeben. Darunter war auch eine Reihe von Kurzdossiers von WHO/Europa zum Thema Affenpocken, in denen Handlungsempfehlungen, Wissen und vorläufige fachliche Empfehlungen für den Umgang mit Affenpocken in der Europäischen Region der WHO zusammengefasst werden. 

In dem zuletzt veröffentlichten Kurzdossier wird erläutert, wie verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse hinsichtlich der Reaktion auf den Ausbruch der Affenpocken und weiterreichende Strategien zur Bekämpfung und Eliminierung in den Ländern gewonnen und zielführend genutzt werden können. Wie sich in Lettland gezeigt hat, erfordert ein solcher Ansatz sorgfältig erstellte Konzepte und Interventionen und eine entsprechende Kommunikationsarbeit, die allesamt auf einem Verständnis der Verhaltensweisen, Wahrnehmungen und Umgebung der gefährdeten Bevölkerungsgruppen basieren, wie es Organisationen wie Mozaika herstellen können. 

Bekämpfung und Eliminierung der Affenpocken in der Europäischen Region 

Die Zahl der Fälle von Affenpocken in der Europäischen Region ist in den letzten Monaten rückläufig, was hoffen lässt, dass es möglich ist, diesen Ausbruch unter Kontrolle zu bekommen und schließlich die Mensch-zu-Mensch-Übertragung zu unterbrechen. Dies setzt leistungsfähige Surveillance-Systeme, eine frühzeitige Fallentdeckung, Kontaktverfolgung, eine maßgeschneiderte Risikokommunikation und einen Dialog mit den Bürgern voraus. 

Kaspars Zalitis ist davon überzeugt, dass auch die Impfung von Risikogruppen gegen Affenpocken langfristig zu den wichtigsten Strategien gehört: „Nur weil die Zahlen in Europa zurückgehen, heißt das noch lange nicht, dass die Affenpocken verschwinden werden.“

Die Beliebtheit des neuen Überweisungsmodus in Lettland verdeutlicht, dass durch Kooperation und Kommunikation mit gefährdeten Gruppen während Seuchenausbrüchen starke Partnerschaften für Gesundheit entstehen können. Auch wenn die 53 Länder der Europäischen Region sich in Politik und Praxis deutlich voneinander unterscheiden, hat Kaspars doch folgenden Rat: „Eine Botschaft, die andere Länder aus Lettland mitnehmen können, lautet: Zuhören, zuhören, zuhören, was die Betroffenen sagen, denn manchmal kann das für die Beendigung einer Notlage entscheidend sein.“