Am 28. und 29. März 2023 richtete das WHO-Länderbüro in der Ukraine in Lwiw die erste Konferenz zur primären Gesundheitsversorgung seit Beginn der groß angelegten Invasion der Ukraine durch die Russische Föderation im Februar 2022 aus.
Die WHO organisierte die Konferenz gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium der Ukraine und dem Nationalen Gesundheitsdienst der Ukraine (NHSU) sowie in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit der Akademie für Familienmedizin der Ukraine. An der Veranstaltung nahmen fast 200 Fachkräfte für die primäre Gesundheitsversorgung teil sowie Vertreter von Gesundheitsbehörden und internationalen Partnern, um Wissen auszutauschen und die zukünftige Arbeit im Bereich der primären Gesundheitsversorgung während des Krieges sowie danach zu planen.
Die Konferenz diente Beschäftigten, Managern und Experten aus dem Bereich der primären Gesundheitsversorgung als offenes und interaktives Forum, um über die Fortschritte der in der primären Gesundheitsversorgung vorgenommenen Reformen im Land, die bisher gezogenen Lehren und die künftige Ausrichtung der primären Gesundheitsversorgung in der Ukraine inmitten des Krieges und angesichts der wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der Bevölkerung zu reflektieren.
Dr. Jarno Habicht, Repräsentant der WHO in der Ukraine, erläuterte: „Die Ukraine hat vor fünf Jahren mit der Reformierung der primären Gesundheitsversorgung begonnen. Zwar gab es einige wichtige Entwicklungen, doch haben die COVID-19-Pandemie und der anhaltende Krieg ein widerstandsfähiges Gesundheitssystem auf eine harte Belastungsprobe gestellt. Heute ist die Gesundheitsversorgung in einigen Gebieten des Landes aufgrund des anhaltenden Krieges unterbrochen. Diese Konferenz markiert einen wichtigen Zeitpunkt, um mit Experten und Gesundheitspersonal zusammenzukommen und Lösungen für die Zukunft zu diskutieren und Erfahrungen auszutauschen.“
Dr. Natasha Azzopardi-Muscat, Direktorin der Abteilung für Gesundheitspolitik und Gesundheitssysteme der Länder bei WHO/Europa erklärte: „Während wir heute hier zusammenkommen, wird uns in Erinnerung gerufen, wie wichtig die primäre Gesundheitsversorgung für den Aufbau eines starken, widerstandsfähigen Gesundheitssystems ist, das für aktuelle wie auch künftige gesundheitliche Notlagen, einschließlich Konflikten und Kriegen, gut gerüstet ist.“ Sie betonte, dass die WHO „auch weiterhin allen ukrainischen Gesundheitsfachkräften – einschließlich der in der primären Gesundheitsversorgung Tätigen – zur Seite steht, die inmitten dieses Krieges ihre Widerstandsfähigkeit und Professionalität unter Beweis stellen“.
Die primäre Gesundheitsversorgung im Angesicht des Krieges
Die Diskussionen konzentrierten sich auf ein breites Spektrum von Themen, darunter die Reformierung der primären Gesundheitsversorgung in der Ukraine und die Unterbrechung von Gesundheitsangeboten infolge des Krieges. Die Teilnehmer erörterten einige der Herausforderungen, mit denen Ärzte und Pflegepersonal in der primären Gesundheitsversorgung konfrontiert sind, sowie die entscheidende Rolle, die multidisziplinäre Teams in diesem Bereich bei der Versorgung der Menschen spielen, wann immer und wo immer diese auf sie angewiesen sind.
„Ich komme aus Afghanistan, einem Land, das gebeutelt ist von Konflikten und Fragilität. Ich habe in meinem eigenen Land erlebt, was es bedeutet, einen Patienten in einem Operationssaal unter Artilleriebeschuss und Bombardierungen zu operieren“, erzählte Dr. Suraya Dalil, Direktorin des Sonderprogramms der WHO für die primäre Gesundheitsversorgung.
„Ich kenne zudem die psychische Belastung, die ein Krieg für die Beschäftigten, ihre Familien und die gesamte Gemeinschaft darstellt. Ich weiß aber auch, dass die Bereitstellung von bevölkerungsnahen Gesundheitsleistungen in optimaler Qualität einen großen Beitrag dazu leisten wird, Leben zu retten und Engagement und Verantwortung gegenüber der Bevölkerung zu zeigen“, fügte Dr. Dalil hinzu.
Bei einer Sitzung, die sich konkret mit der Rolle der primären Gesundheitsversorgung im Angesicht des Krieges befasste, erzählten Gesundheitsfachkräfte aus kürzlich wieder befreiten Gebieten – u. a. den Oblasten Kiew und Cherson –, inwiefern sich die Kampfhandlungen auf ihre Arbeit ausgewirkt hat. Zu den größten Herausforderungen gehören in dieser Hinsicht die Beschädigung von Gesundheitseinrichtungen, die Unterbrechung von Gesundheitsangeboten und die Zwangsumsiedlung von Menschen.
„Die primäre Gesundheitsversorgung ist der erste Zugangspunkt der Menschen zum Gesundheitssystem, und wenn dieser durch einen Krieg gestört wird, ist die Gesundheit der Menschen ernsthaft gefährdet“, fuhr Dr. Habicht fort. „Die WHO setzt sich dafür ein, dass alle Menschen in der Ukraine Zugang zu den Angeboten der primären Gesundheitsversorgung haben, die sie benötigen, und wir werden unter der Leitung des Gesundheitsministeriums auch weiterhin fachliche Unterstützung und den Aufbau von Kapazitäten koordinieren und bereitstellen.“
Diese erste nationale Konferenz seit der Invasion bot auch internationalen Partnern wie etwa der Europäischen Union, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) und der Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung (USAID) die Gelegenheit, zusammenzukommen und Möglichkeiten zu erörtern, wie sich die Reaktion des Gesundheitswesens auf die anhaltende Notlage stärken lässt.
Weitere Themen der Veranstaltung waren der Einsatz und die Zugänglichkeit digitaler Tools wie Telemedizin und digitale Konsultationen, die Notwendigkeit, die konsistente Finanzierung der primären Gesundheitsversorgung trotz des Krieges sicherzustellen, der Einsatz mobiler Teams, um entlegene und schwer zugängliche Gebiete zu erreichen, und die Einbeziehung psychosozialer Dienste auf der Ebene der primären Gesundheitsversorgung.
Darüber hinaus wurde im Rahmen der Veranstaltung offiziell die ukrainischsprachige Ausgabe des ersten „Leitfadens von WHO/Europa für die primäre Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen“ veröffentlicht, einem umfassenden Handbuch für Ärzte, Pflegekräfte und andere Gesundheitsfachkräfte, die für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen in der primären Gesundheitsversorgung zuständig sind.
Der erstmals im März 2022 vorgestellte Leitfaden enthält Leitlinien für die Förderung der frühkindlichen Entwicklung und Gesundheitsbotschaften für Jugendliche. Seine Hauptaufgabe besteht darin, Fachleute aus der primären Gesundheitsversorgung durch die Anwendung evidenzbasierter Praktiken anzuleiten, die dazu beitragen, unnötige Behandlungen und Krankenhausaufenthalte zu vermeiden.
WHO unterstützt primäre Gesundheitsversorgung in der Ukraine
Die primäre Gesundheitsversorgung stand schon vor der Invasion im Mittelpunkt der Unterstützung der WHO für die Ukraine und das ist auch seit Beginn der Invasion weiterhin der Fall. In Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium hat die WHO ein Projekt zur Einrichtung und zum Betrieb mobiler Gesundheitseinheiten mit Schwerpunkt auf der Behandlung nichtübertragbarer Krankheiten auf Ebene der primären Gesundheitsversorgung ins Leben gerufen und unterstützt. Das Projekt wurde in zwei Wellen umgesetzt und richtete sich insbesondere an sieben Regionen des Landes. Die von der WHO unterstützten mobilen Gesundheitseinheiten haben inzwischen über 17 000 Konsultationen und fast 600 Gemeindebesuche durchgeführt.
Zwischen 2022 und Anfang 2023 führte die WHO außerdem eine Kostenbewertung der primären Gesundheitsversorgung in der Ukraine durch, um das Gesundheitsministerium und den NHSU bei der Bewertung des aktuellen Zustands von Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung und der Auswirkungen auf den Staatshaushalt zu unterstützen.
Die Konferenz zur primären Gesundheitsversorgung wurde mit finanzieller Unterstützung der Regierung Kanadas im Rahmen des Projekts „Stärkung kommunaler und nationaler Systeme der primären und allgemeinen Gesundheitsversorgung zur Gewährleistung der Erholung und Widerstandsfähigkeit von Ländern vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie“ organisiert.