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Haben Sie schon von weißem Snus gehört? Eine schwedische Aktivistin für die Eindämmung des Tabakkonsums schlägt Alarm

29 May 2024

„Es wird viel darüber geredet, dass Schweden dabei ist, rauchfrei zu werden, aber das ist ein Narrativ, das von der Tabakindustrie geschaffen wurde“, warnt Helen Stjerna, Leiterin der schwedischen gemeinnützigen Stiftung A Non-Smoking Generation. Die Organisation setzt sich seit 45 Jahren dafür ein, die Zahl der jungen Menschen im Land, die anfangen Tabakprodukte zu konsumieren, zu verringern.

„Unsere Gesetze gegen die Vermarktung von Tabakprodukten waren bis 2016, als die schwedische Tabakindustrie weißen Snus auf den Markt brachte, sehr wirksam“, erklärt sie. „Plötzlich durften sie weißen Snus, oder Schnupftabak, als tabakfrei vermarkten. Sie verteilten sogar kostenlos Nikotinbeutel vor Schulhöfen. Sie sponserten Veranstaltungen und Musikfestivals, und die sozialen Medien wurden mit Werbekampagnen unter Einbeziehung von Influencern überschwemmt.“

Seit 35 Jahren dürfen Geschäfte in Schweden nicht mehr für Tabakwaren werben. Bereits 1993 hatte das Land das Rauchen am Arbeitsplatz verboten, woraufhin ein Mindestalter für den Kauf von Tabak eingeführt wurde. 2005 wurden Gesetze für rauchfreie Restaurants und 2019 für rauchfreie Plätze im Freien erlassen. Dies führte dazu, dass weniger junge Menschen mit dem Rauchen anfingen. Jetzt, so Helen, kann die Industrie all diese Tabakgesetze umgehen.

Ein tabakfreies Schlupfloch

„Weißer Snus ist eine schwedische Innovation“, sagt sie. „Er besteht im Wesentlichen aus aromatisiertem Nikotin. Indem man die braunen Tabakblätter aus den neuen Produkten entfernt, kann die Industrie nicht nur die Tabakgesetze, sondern auch die Vorschriften zur Tabakbesteuerung umgehen. Das ist der Schlüssel für die Herstellung von Produkten, die sich junge Menschen leisten können.“ 

Helen beschreibt weiter, inwiefern das so genannte tabakfreie Etikett einen doppelten Zweck für die Industrie erfüllt, da es die neuen Produkte als harmlos erscheinen lässt. 

„Nikotin ist ein schädliches Gift, das die kognitiven Fähigkeiten herabsetzt, so dass man sich schlechter konzentrieren und schlechter schlafen kann. Möglicherweise ist weißer Snus noch gefährlicher als der traditionelle braune Snus, aber da es keine Studien über weißen Snus gibt, wissen wir es nicht. Kinder können in den sozialen Medien ,hier klicken‘ und bis zu sechs kostenlose Beutel bestellen, was ausreicht, um sie süchtig zu machen. So viele Kinder melden sich bei uns und sagen: ,Ich habe diese kostenlose Probe bekommen und kann jetzt nicht mehr aufhören; ohne sie kann ich meine Hausaufgaben nicht mehr machen.‘“

Viele Studien zeigen, dass ein Zigarettenraucher, der versucht, auf Snus umzusteigen, eher zum Doppelraucher wird, als dass er das Rauchen aufgibt. Die Menschen verwenden Snus in den vielen Innen- und Außenbereichen, in denen das Gesetz sie sonst am Rauchen hindern würde, betont Helen. Sie betont, dass diese Produkte nicht dazu beitragen, mit dem Rauchen aufzuhören, sondern die Nikotinsucht fördern und das traditionelle Rauchen unterstützen.

Schaffung von Nikotin-Gewohnheiten

Trotz eines kürzlich verabschiedeten Gesetzes, das 2022 die Werbung für Nikotinprodukte in Fernsehen und Radio in Schweden verbot, erwirbt die Tabakindustrie laut Helen noch immer Einfluss in den sozialen Medien und vermarktet aggressiv weißen Snus, insbesondere bei Mädchen und jungen Frauen.

„Sie propagieren die Idee, dass weißer Snus etwas Frisches ist, mit bonbonartigem Geschmack. Es ist nicht mehr dieser eklige braune Schnupftabak, der an den Zähnen herunterläuft und sie braun verfärbt. Die Industrie sah hier eine Chance, da Snus bereits Teil unserer kulturellen Tradition war.“

Doch während in der Vergangenheit fast ausschließlich ältere Männer in Schweden braunen Snus konsumierten, hat die Einführung von weißem Snus dazu geführt, dass ein breiteres Spektrum von Menschen, diese Gewohnheit aufgenommen haben.

„Ursprünglich war die Idee, junge Frauen zu manipulieren, aber in den letzten Jahren haben auch viele Jungen damit angefangen oder sind von braunem Snus auf weißen Snus umgestiegen. Die Tabakindustrie hat das Narrativ rund um weißen Snus erfolgreich manipuliert und ihn als sicheres Konsummittel oder sogar als gesündere Alternative zu herkömmlichen Zigaretten angepriesen.“

Helen hebt hervor, dass sich der Konsum von weißem Snus von Schweden aus in alle Länder der Welt ausbreitet. „Diese Produkte enthalten enorme Mengen an Nikotin, das in den meisten Fällen aus Tabakblättern gewonnen wird“, betont sie. „Das ist keine Raucherentwöhnung. Es ist die Einführung von Nikotin und Tabak.“

Schutz der Schulzeit

Um Kinder zu schützen, setzt sich A Non-Smoking Generation für strengere Gesetze ein, die sicherstellen sollen, dass die Schulzeit in Schweden frei von jeglichen nikotinhaltigen Produkten ist.

„Der Konsum von Snus breitet sich hier in den Schulen wie eine Epidemie aus, weil 18-jährige Schüler ihn kaufen und dann an ihre jüngeren Freunde weiterverkaufen können, die ihn während der Schulzeit konsumieren“, sagt sie. „Es gibt keine Gesetze, die das verhindern, und das ist in Schweden derzeit ein großes Problem.“

Helen hofft auf eine baldige Gesetzesänderung, die den Gebrauch von Nikotinprodukten während der Schulzeit verbietet, auch auf dem Schulgelände und vor den Schultoren. Sie hält dies prinzipiell für notwendig, auch wenn es kein Patentrezept ist und viel Arbeit nötig ist, um Kindern und Jugendlichen zu erklären, dass der Zweck des Gesetzes darin besteht, all jene Minderjährigen zu schützen, die noch nicht angefangen haben, weißen Snus und andere Nikotinprodukte zu konsumieren. 

„Aus meiner Sicht spreche ich mit vielen jungen Menschen, die sagen: ,Ich möchte aufhören, aber es ist wirklich schwer, weil alle es konsumieren‘. Es ist also äußerst wichtig, all diesen jungen Menschen zu helfen, die mit dem Snuskonsum aufhören wollen, es aber nicht schaffen, wenn alle ihre Freunde während der Schulzeit Snus konsumieren.“

„Keiner von ihnen hatte je die Absicht, Raucher oder Snus-Konsument zu werden“, betont sie. „Sie wollten es nur mal eine Zeit lang ausprobieren und dann aufhören, wann immer sie wollten. Zumindest dachten sie das. Es ist schockierend, wie leicht man süchtig werden kann und wie schwer es ist, damit aufzuhören.“

Eine Generation frei von Tabak

Also wie geht Helens Organisation vor, um junge Menschen davon zu überzeugen, ihre Gewohnheiten zu ändern oder gar nicht erst zum weißen Snus zu greifen? 

Zunächst einmal müssten sich die jungen Leute bei Vorträgen mit der Person, die auf der Bühne steht und zu ihnen spricht, identifizieren können, sagt sie. Dann hätten sie festgestellt, dass die effektivste Lösung darin bestehe, über Nachhaltigkeitsprobleme in Zusammenhang mit der Tabakindustrie zu sprechen. Hierzu zählten etwa Fragen der Kinderarbeit, industrieller Prozesse, die mit massiver Abholzung einhergehen, und all das Gift, das in der Natur landet.

„Wir erläutern, wie Tabak- und Nikotinprodukte hergestellt werden. Dann fügen wir noch die Abfallprodukte hinzu, die weggeworfen werden. Wir weisen auf die Zigarettenstummel und die Nikotinbeutel sowie auf die Lithiumbatterien und das Plastik von Einweg-E-Zigaretten hin, die letztendlich unsere Gewässer, die Luft und den Boden verschmutzen. Also was wollt ihr tun? Wollt ihr eine Industrie unterstützen, die Kinderarbeit einsetzt und die Umwelt zerstört?“

Sie hat festgestellt, dass junge Menschen oft sehr wütend sind, wenn sie diese Informationen erhalten. Am Ende dieser Gespräche nehmen sie ihre Zigarettenschachteln und Snus-Dosen und werfen sie in den Müll. Denn schließlich will sich niemand betrogen fühlen.

Zahlen belegen, dass neun von zehn erwachsenen Tabakkonsumenten bereits als Teenager oder sogar noch früher mit dem Rauchen begonnen haben, und das bedeutet, dass die Industrie unermüdlich auf Kinder zugehen muss, um ihren Kundenstamm zu erhalten. Helen weist darauf hin, dass es nicht lange dauern würde, bis wir eine Generation frei von jeglichen Tabakprodukten hätten, wenn wir unsere Jugend davor schützen könnten, auf die Taktiken der Industrie hereinzufallen.