WHO / Christopher Black
Die Beprobung von Abwasser ermöglicht eine bevölkerungsweite Surveillance und dem Gesundheitspersonal die Überwachung einer möglichen Poliovirus-Übertragung in großen Gebieten.
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WHO / Christopher Black
Ein Kind ist zu einer allgemeinen Untersuchung in ein gemeindenahes Gesundheitszentrum in Mukatschewo (Ukraine) gekommen, in deren Rahmen es auch eine Polioimpfung erhält.
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Polio-Ausbruch in der Ukraine für beendet erklärt – eine Erfolgsgeschichte für die öffentliche Gesundheit trotz der extremen Herausforderungen des Krieges

21 September 2023
Pressemitteilung
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WHO/Europa hat einen im Oktober 2021 entdeckten Poliovirus-Ausbruch in der Ukraine offiziell für beendet erklärt. Die Zertifizierungskommission für die Eradikation der Poliomyelitis in der Europäischen Region bestätigte das Ende des Ausbruchs auf ihrer Jahrestagung am 8. September 2023. Das Land hat diesen Meilenstein – die Unterbindung der Übertragung des Virus, das das Leben und die Zukunft ukrainischer Kinder bedrohte, und die Verhinderung der Ausbreitung auf andere Länder – im Angesicht des anhaltenden Krieges erreicht. 

Die umfassende Reaktion auf den Ausbruch, eingeleitet vom Gesundheitsministerium der Ukraine im Dezember 2021, war seit Ende Februar 2022 mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert: massiven Fluchtbewegungen der Bevölkerung, der Zerstörung der Infrastruktur des Gesundheitswesens und der Unterbrechung von Logistikstrecken für die Lieferung von Medizinprodukten. 

„Die Unterbindung der Ausbreitung des Poliovirus inmitten eines verheerenden Krieges ist eine bedeutende Leistung und ein eindeutiger Beweis für das Engagement der höchsten politischen Ebene der ukrainischen Regierung für das Wohlergehen ihrer Bevölkerung“, erklärte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa. 

„Im Angesicht der beispiellosen Herausforderungen sind die vom ukrainischen Gesundheitsministerium ergriffenen notwendigen Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des Poliovirus innerhalb der Landesgrenzen und darüber hinaus ungeheuer lobenswert.“ 

Die Entscheidung, den Ausbruch für beendet zu erklären, erfolgte auf der Grundlage:
  • der Empfehlungen einer von Partnerorganisationen der Weltweiten Initiative zur Ausrottung der Kinderlähmung (GPEI), darunter die WHO, im Mai 2023 durchgeführten Beurteilung der Reaktion auf den Poliovirus-Ausbruch (OBRA);
  • zusätzlicher von der Ukraine bereitgestellter Dokumente zur Unterstützung der anhaltenden Surveillance, Impfmaßnahmen und Aufklärungsbemühungen seit Mai; und 
  • einer umfassenden Überprüfung der Poliovirus-Surveillance und Leistungsfähigkeit der Impfmaßnahmen in den Ländern, die den Großteil der ukrainischen Flüchtlinge aufgenommen haben. 
Der erste Fall des Ausbruchs wurde im Oktober 2021 bei einem Kleinkind in der Ukraine entdeckt, nachdem ein in Pakistan aufgetretenes und zuvor in Tadschikistan im Jahr 2021 entdecktes Poliovirus in die Ukraine eingeschleppt worden war. Im Dezember 2021 wurden bei einem zweiten Kind Lähmungserscheinungen festgestellt und weitere 19 enge Kontaktpersonen wurden positiv getestet, ohne selbst Symptome zu entwickeln. 

„Das Gesundheitsministerium der Ukraine erklärte die Einschleppung dieses Poliovirus zu einer örtlichen gesundheitlichen Notlage und handelte seit der Entdeckung zügig in enger Kooperation mit der globalen Gemeinschaft des öffentlichen Gesundheitswesens“, erklärte Dr. Viktor Liashko, Gesundheitsminister der Ukraine. 

Dr. Liashko fuhr fort: „Der Ausbruch ist nun für beendet erklärt, doch unsere Arbeit zur Verhinderung von Polio und anderen impfpräventablen Krankheiten in der Ukraine wird trotz aller Hindernisse fortgesetzt. Solange Polio weltweit eine Bedrohung darstellt, bleibt auch die Ukraine anfällig. Das Gesundheitsministerium ist entschlossen, die Surveillance impfpräventabler Krankheiten zu stärken und sich um die landesweite Erreichung und Aufrechterhaltung einer hohen Durchimpfung mit Routine-Impfungen zum Schutz jedes einzelnen Kindes zu bemühen.“

Wie lässt sich ein Polio-Ausbruch stoppen? 

Im Oktober 2021 leitete die Entdeckung eines Poliovirus in der Ukraine die Erklärung einer gesundheitlichen Notlage in den betroffenen Oblasten, die Schaffung einer Arbeitsgruppe für die Reaktion auf den Ausbruch mit fachlicher Unterstützung vonseiten der GPEI und Spezialisten der WHO sowie eine sofortige epidemiologische Untersuchung ein, die u. a. die Ermittlung von Kontaktpersonen und die Entnahme von Umweltproben in einem Sommerlager, einer Schule und in Wohnhäusern, in denen das Virus ursprünglich entdeckt worden war, umfasste. 

Am 30. Dezember 2021 nahm das Gesundheitsministerium einen Aktionsplan in Reaktion auf den Ausbruch an, der u. a. eine beschleunigte Nachimpfungskampagne umfasste für Kinder im Alter zwischen 6 Monaten und 6 Jahren, die die erforderliche Zahl an Impfdosen im Rahmen von Routine-Impfungen nicht erhalten hatten. 

Die Kampagne begann Mitte Februar 2022, doch ihr Umfang und Tempo wurden durch den Krieg erheblich beeinträchtigt. Partnerorganisationen der GPEI, u. a. die WHO, leisteten fachliche und operative Unterstützung, zugeschnitten auf die örtlichen Gegebenheiten, um Kapazitäten aufzubauen und Routine-Impfmaßnahmen, die Krankheitsüberwachung, Kommunikation und den Transport von Proben in Referenzlabore im Ausland zu stärken. 

Dr. Jarno Habicht, Repräsentant der WHO in der Ukraine, koordinierte die Reaktion der WHO im Land. „Die WHO und andere GPEI-Partnerorganisationen waren vom ersten Tag an vor Ort und unterstützten die Gesundheitsbehörden der Ukraine, medizinische Fachkräfte und Beschäftigte im Gesundheitswesen, Laborpersonal und Gemeinschaften, um das Virus an der Ausbreitung zu hindern“, erklärte er. „Die ausgezeichnete Zusammenarbeit und das Durchhaltevermögen der örtlichen und internationalen Teams, die darum bemüht waren, Kinder unter den widrigsten Umständen zu schützen, ist wahrlich beeindruckend.“ 

Trotz der zahlreichen Herausforderungen bei der Umsetzung des nationalen Aktionsplans für die Reaktion auf den Ausbruch wurden nach Dezember 2021 keine neuen Poliovirus-Fälle entdeckt. Die im Mai 2023 durchgeführte OBRA beurteilte die wichtigsten Komponenten der Reaktion auf den Ausbruch, wie die Qualität der Surveillance (und damit das Risiko einer unentdeckten Poliovirus-Übertragung), die Planung und Koordination, die Impfkampagne, die Leistungsfähigkeit von Routine-Impfungen, die Kommunikation und das Impfmanagement. Auf Grundlage der Beurteilung vor Ort und der Überprüfung der bereitgestellten Dokumente kam die OBRA zu dem Schluss, dass das Poliovirus nicht länger in der Ukraine zirkuliert. 

Auf die OBRA in der Ukraine folgte eine umfassende Überprüfung der in Bulgarien, Polen, der Republik Moldau, Rumänien, der Slowakei, Tschechien und Ungarn ergriffenen Maßnahmen. Koordiniert wurde diese von WHO/Europa mit finanzieller Unterstützung vonseiten der Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung (USAID). 

Im Rahmen der Überprüfung wurden die Maßnahmen zur Ausweitung der Kapazitäten für eine Entdeckung des Virus, zur Ermittlung von Lücken in der Durchimpfung und zur Erhöhung der Durchimpfung der örtlichen Bevölkerung in Aufnahmeländern ukrainischer Flüchtlinge sowie das Angebot von Impfungen für aus der Ukraine einreisende Flüchtlinge beurteilt. Diese Überprüfung sowie die zusätzlichen von der Ukraine bereitgestellten Informationen über die in den Monaten nach der OBRA ergriffenen Maßnahmen ermöglichten WHO/Europa, den Ausbruch offiziell für beendet zu erklären. 

Robb Butler, Direktor der Abteilung Übertragbare Krankheiten, Umwelt und Gesundheit bei WHO/Europa, erklärte: „Die Ukraine war in den letzten Jahren standhaft darum bemüht, eine hohe Durchimpfung bei Routine-Impfungen zu erreichen und aufrechtzuerhalten, und im Rahmen der Europäischen Impfagenda 2030 wird WHO/Europa auch weiterhin die Gesundheitsbehörden dabei unterstützen, weitere Ausbrüche impfpräventabler Krankheiten, wie Polio, Masern, Diphtherie und viele mehr, zu verhindern.“ 

Herr Butler schloss mit den Worten: „Enorme Anerkennung gebührt den Gesundheitsfachkräften und Eltern, die sich nach wie vor nach Kräften darum bemühen, Kinder entsprechend dem Impfplan zu impfen, um sie vor der Bedrohung durch Polio und andere Krankheiten zu schützen, und zwar selbst während der täglichen Realitäten und Gefahren des Krieges.“