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Der dramatische Mangel an Gesundheitsfachkräften in der Europäischen Region ist nicht mehr nur eine drohende Gefahr, sondern schon jetzt eine Realität. Die Erklärung von Bukarest weist einen Weg in die Zukunft

In der neu angenommenen Erklärung wird dargelegt, wie politische Maßnahmen das Gesundheitspersonal in ganz Europa und Zentralasien schützen und unterstützen und Investitionen in das Gesundheitspersonal fördern können

22 March 2023
Medienmitteilung
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Bukarest, 22. März 2023

Vertreter aus 50 der 53 Mitgliedstaaten in der Europäischen Region der WHO haben gemeinsam mit Beschäftigten des Gesundheitswesens, ihren Gewerkschaften und Verbänden sowie mit Wissenschaftlern und Experten eine mutige Erklärung angenommen, in der sie politische Maßnahmen und ein politisches Bekenntnis zum Schutz und zur Unterstützung von und zu Investition in das Gesundheits- und Pflegepersonal in ganz Europa und Zentralasien fordern.

Die Erklärung von Bukarest, die auf einer von WHO/Europa und dem rumänischen Gesundheitsministerium gemeinsam organisierten richtungsweisenden Tagung der Europäischen Region angenommen wurde, steht vor dem Hintergrund einer schweren Krise, von der das Gesundheitspersonal in der gesamten Region betroffen ist und die u. a. Streiks und Arbeitskampfmaßnahmen zur Folge hat.

„Der dramatische Mangel an Gesundheitsfachkräften in der Europäischen Region ist nicht mehr nur eine drohende Gefahr, sondern schon jetzt eine Realität. Gesundheitsanbieter und  fachkräfte in der gesamten Region bitten dringend um Hilfe und Unterstützung“, erklärte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa. „Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie anfällig die Gesundheitssysteme sind und wie wichtig ein robustes und widerstandsfähiges Gesundheitspersonal ist. Wir können nicht länger warten, um die dringenden Herausforderungen anzugehen, vor denen unser Gesundheitspersonal steht. Die Gesundheit und das Wohlbefinden unserer Gesellschaft stehen auf dem Spiel – wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Im vergangenen Jahr gab es in der Europäischen Region eine zunehmende Anzahl von Streiks unter den Beschäftigten des Gesundheitswesens, die sich über schwierige Arbeitsbedingungen und unzureichende Ressourcen beklagten. So traten etwa in Frankreich im November 2022 Ärzte und Pflegepersonal landesweit in Streik, an dem sich über 100 000 Gesundheitsfachkräfte beteiligten. Im September 2022 streikten über 6000 Pflegekräfte in Irland wegen niedrigen Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen. Auch in Deutschland beteiligten sich im August 2022 Tausende von Beschäftigten des Gesundheitswesens aus ähnlichen Gründen an einem landesweiten Streik. Und im Vereinigten Königreich beeinträchtigen Streiks und Arbeitsniederlegungen von Ärzten, Pflegekräften und Rettungssanitätern das Gesundheitssystem seit Monaten schwer. 

„Dieser Arbeitskampf spiegelt eindeutig die wachsende Frustration und Besorgnis unter den Beschäftigten im Gesundheitswesen in unserer Region wider und unterstreicht die dringende Notwendigkeit eines mehrgleisigen Ansatzes zur Unterstützung des Gesundheits- und Pflegepersonals und zu entsprechenden Investitionen“, erläuterte Dr. Kluge. 

Ein regionsweiter Bericht, der im September letzten Jahres von WHO/Europa veröffentlicht wurde, warnte vor einer „tickenden Zeitbombe“, die die Gesundheitssysteme in Europa und Zentralasien bedroht. Angesichts der raschen Alterung der Bevölkerung und der Überalterung des Gesundheitspersonals in der Region, der Zunahme chronischer Krankheiten und der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie warnte der Bericht vor einem drohenden Zusammenbruch in wichtigen Bereichen der Gesundheitssysteme der Länder, sofern nicht rasch konkrete politische Maßnahmen zur Lösung dieser Probleme ergriffen werden – angefangen beim Gesundheitspersonal. 

In dem Bericht wurde hervorgehoben, dass in 13 der 44 Länder, die Daten bereitgestellt hatten, 40 % der Ärzte bereits 55 Jahre oder älter sind, was eine große Herausforderung für die Nachhaltigkeit des Arbeitskräfteangebots darstellt. Gleichzeitig verändern sich die Arbeitsmärkte durch eine immer komplexere Mobilität und Migration der Beschäftigten. Infolgedessen wird es in einigen Ländern immer schwieriger, junge Menschen für die Gesundheits- und Pflegeberufe anzuwerben und zu binden.

Trotz der historisch hohen Zahl von Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich in der Europäischen Region haben die nationalen Gesundheitssysteme Schwierigkeiten, mit der steigenden Nachfrage nach Gesundheitsleistungen Schritt zu halten. Dies wird noch verschärft durch den Rückstau von Leistungen infolge der COVID-19-Pandemie, durch die steigenden Erwartungen von Patienten und durch die Gesundheitsrisiken, die durch den Klimawandel und Notlagen bedingt sind. 

Die COVID-19-Pandemie hat die Belastung des Gesundheitswesens noch verschärft und zu Stress, Burnout und Gewalt gegen Beschäftigte geführt, von denen viele ihre Jobs aufgegeben haben. Während der ersten Welle der Pandemie im Frühjahr 2020 kam es in der Region zu einem drastischen Anstieg der Abwesenheit des Gesundheitspersonals um 62 %. In fast allen Ländern der Region wurde eine Zunahme psychischer Probleme bei den Beschäftigten des Gesundheitswesens festgestellt, und in einigen Ländern berichteten über 80 % des Pflegepersonals über eine Form von pandemiebedingter psychischer Belastung. Darüber hinaus erhielt WHO/Europa Meldungen, dass 9 von 10 Pflegekräften die Absicht geäußert hätten, ihren Job zu kündigen.

Als Antwort auf diese Herausforderungen ruft die Erklärung von Bukarest zu politischen Maßnahmen auf, und zwar zur: 
  1. Verbesserung der Anwerbung und Bindung von Gesundheits- und Pflegefachkräften
  2. Verbesserung der Mechanismen zur Bereitstellung von Gesundheitspersonal 
  3. Optimierung der Leistung der Arbeitskräfte im Gesundheits- und Pflegebereich 
  4. besseren Planung des Gesundheits- und Pflegepersonals 
  5. Erhöhung der öffentlichen Investitionen in die Aus- und Fortbildung und den Schutz der Beschäftigten.
In der Erklärung werden die Zusammenhänge zwischen diesen Prioritäten und die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit allen maßgeblichen Akteuren anerkannt, einschließlich Vertretern des Gesundheits- und Pflegepersonals, ihrer Arbeitgeber, der nationalen Finanz- und Bildungsministerien sowie internationaler gemeinnütziger Organisationen, Treuhandgesellschaften und Stiftungen.

„Wir können die Herausforderungen nicht länger ignorieren, vor denen die Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich stehen“, erklärte Dr. Natasha Azzopardi-Muscat, Direktorin der Abteilung Gesundheitspolitik und Gesundheitssysteme der Länder bei WHO/Europa. „Das Gesundheitspersonal ist das Rückgrat des Gesundheitswesens, und ihr Engagement und ihre harte Arbeit müssen jetzt anerkannt und unterstützt werden. Dies wird sich in Bezug auf die individuelle und kollektive Gesundheit und das entsprechende Wohlbefinden sowohl des Gesundheitspersonals als auch der Menschen, denen es dient, auszahlen und die Länder und unsere Region insgesamt besser darauf vorbereiten, die gesundheitlichen Notlagen zu bewältigen, von denen wir wissen, dass sie vor uns liegen, und auch die Gesundheitssysteme stärken, damit sie grundlegende, alltägliche Leistungen erbringen können.“