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„Es gibt keine berufliche Entwicklung – man geht einfach jeden Tag zur Arbeit und gibt sein Bestes, um den bestehenden Herausforderungen zu begegnen“

Zeugnis von Sarah Abrams, einer Assistenzärztin im Vereinigten Königreich, auf der Hochrangigen Tagung zum Thema Gesundheits- und Pflegepersonal in Bukarest (Rumänien)

23 March 2023
Pressemitteilung
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Ich bin Assistenzärztin und arbeite derzeit in London. Ich liebe meinen Job, doch nach nur 18 Monaten Ausbildung spüre ich bereits die Herausforderungen, aufgrund derer so viele Ärzte aus diesem Beruf aussteigen, und wie so viele meiner Fachkollegen habe auch ich aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen als Assistenzärztin bereits Alternativen zu einer klinischen Karriere im National Health Service (NHS) in Erwägung gezogen. 

Unsere Arbeitsbedingungen sind schlecht und untragbar: wir sind chronisch unterbesetzt und mit unzureichenden Ressourcen ausgestattet. Der Druck wächst beständig, getrieben von der alternden Bevölkerung und den steigenden Erwartungen unserer Patienten, und dieser Druck wurde durch die globale Pandemie noch verschärft. 

Gegenwärtig bin ich regelmäßig für zwei- oder sogar dreimal so viele Patienten zuständig wie eigentlich vorgesehen, was die Patientensicherheit beeinträchtigt. Es ist einfach nicht genug Zeit, um auch nur das absolute Minimum zu leisten, geschweige denn, um wertvolle Zeit mit den Patienten zu verbringen und so ihre Bedürfnisse besser zu verstehen, oder um ihre Angehörigen auf dem Laufenden zu halten. 

Oftmals komme ich erst spät nach Hause, und fast immer habe ich das Gefühl, nicht das Beste für meine Patienten getan zu haben. Das ist so entmutigend und das genaue Gegenteil von der ermächtigenden und inspirierenden Rolle, die ich immer mit dem Arztberuf in Verbindung gebracht habe, und die ein Arzt auch einnehmen sollte. 

2021 hatte ich über das Weihnachtswochenende Rufbereitschaft. Nur drei Assistenzärzte waren für eine Station mit 500 Patienten zuständig. Nur zwei von uns sollten insgesamt 175 Patienten überwachen und versorgen. Ständig piepte irgendwo ein Alarm, und bevor man auch nur die Chance hatte, eine Aufgabe zu erledigen, waren schon drei neue Aufgaben hinzugekommen. Zwei Patienten stürzten und konnten einige Stunden lang nicht untersucht werden. Ein Patient musste eine weitere Stunde auf eine Bluttransfusion warten. Keiner von uns hatte Zeit, sich mal hinzusetzen, geschweige denn Mittagspause zu machen und etwas zu essen. 

Am Ende meiner dritten 13-stündigen Schicht in Folge kam ich zu einem Patienten. Der Patient im Nachbarbett, dem es das ganze Wochenende über zwar gut ging und der deswegen auch nicht hatte untersucht werden müssen, wurde plötzlich mir gegenüber sehr wütend, dass er nicht untersucht worden sei. Er hielt mir vor, eine schlechte Ärztin und gefühllos zu sein, und sagte, dass ich meine eigenen Angehörigen sicher nicht auf diese Weise behandeln würde. Ich versuchte ihn zu beruhigen, doch er fuhr fort mir zu sagen, dass ich mich schämen solle. Ich verließ das Zimmer und brach allein in einem Abstellraum in Tränen aus. 

Dieses Beispiel zeigt wahrlich die weit verbreiteten Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind: wir versuchen unser Bestes, um unsere Patienten so gut wie möglich in einem bis ans Äußerste belasteten System zu versorgen, doch die Arbeit ist einfach undankbar. 

Diese moralische Verletzung führt unweigerlich zu Burnout. Ich habe drei gute Freunde aus dem Medizinstudium, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und alle eine längere Auszeit nehmen mussten infolge der starken Gleichgültigkeit sowohl gegenüber ihrer Arbeit als auch gegenüber ihrem Privatleben. Das bricht mir wirklich das Herz, denn sie sind wunderbare Ärzte und noch bessere Menschen. 

Doch was vielleicht noch viel schwerer zu ertragen ist, ist die Tatsache, dass die erste Reaktion ihrer Arbeitgeber nicht etwa war „Geht es Ihnen gut? Wie können wir Ihnen helfen?“, sondern „Oh je, wie füllen wir denn jetzt diese Lücke im Dienstplan?“. Wir versagen dabei, dem Wohlbefinden unserer Gesundheitsfachkräfte Priorität einzuräumen, und wir spüren zwangsläufig nun die Folgen. 

Ich habe das Gefühl, als reine Dienstkraft genutzt zu werden, und dass in keiner Weise in meine Aus- und Weiterbildung investiert wird, obwohl ich eigentlich als „Auszubildende“ eingestellt wurde. Es gibt keine berufliche Entwicklung – man geht einfach jeden Tag zur Arbeit und gibt sein Bestes, um den bestehenden Herausforderungen zu begegnen. Die pädagogische Betreuung durch Vorgesetzte ist minimal und wirkt eher wie eine Formalität zum Abhaken als eine echte Investition. 

Die Zahlen zur Krise hinsichtlich der Mitarbeiterbindung sind wirklich erschütternd, und aus Einzelberichten weiß ich, dass viele meiner Freunde planen, ihren Job zu kündigen. Von den acht Assistenzärzten, mit denen ich meine Ausbildung begonnen habe, planen nur zwei, ihre Tätigkeit im NHS definitiv fortzusetzen. 

Ihnen ist sicher bewusst, dass Assistenzärzte im Vereinigten Königreich sich gegenwärtig in einem Arbeitskampf um ihre Löhne befinden, in dessen Rahmen sie in der letzten Woche 72 Stunden lang in Streik traten. Es war so elektrisierend, mit meinen Kollegen an den Streikposten zu stehen, doch die Tausenden und Abertausenden von Assistenzärzten, die die Straßen Londons säumten, zeigen wirklich, was wir zu verlieren haben, wenn wir keine positiven Veränderungen herbeiführen. 

Es steht außer Frage, dass die derzeitige Situation unhaltbar ist. Und ich hoffe, dass die Annahme der Erklärung von Bukarest über das Gesundheits- und Pflegepersonal nur der Anfang sein wird für nachhaltige Lösungen für diese ernste Krise, mit der wir alle konfrontiert sind.